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Clemens Gleich

Clemens Gleich

Titel: Clemens Gleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pikmo und Jianna (German Edition)
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hob denn sowas auf? 'Liebe Jianna, anbei findest Du wie besprochen alle nötigen Urkunden. Mit besten Wünschen, Dein Papa.' Ooch, herzergreifend! Pi zerknüllte den Brief und nahm den Absenderstempel genauer in Augenschein. Stadtamt Romala, Ver- und Entsorgung, soso... Pi kramte seinen schrumpligen Zwillingskopf hervor und drückte ihn in das Papier.
    "Na, was hältst du davon, mein hässlicher kleiner Bruder?" ... "Ja, ich seh auch, dass hier nicht mehr viel Durchgangsverkehr ist", murmelte Pi, mit einem Finger über den ersten Ansatz einer Staubschicht auf dem Tresen streichend. "So, wie ich das sehe, war die gute Frau zuletzt nicht die beste Freundin der Wache, sonst hätten sie ihr wohl kaum den Laden angemalt." Er kratzte sich geistesabwesend das Kinn, mit Krallen, die andere nichtmal am Rücken anzusetzen gewagt hätten. "Sie müssen schon aus der Stadt verschwunden sein. Fragt sich nur, in welche Richtung..." Auf Pis Gesicht kristallisierte ein entschlossener Gesichtsausdruck, mit dem er sich durch die Wohnräume im ersten Stock wieder aus dem Staub machte.
    Das Leben war, philosophierte Pi, wie sein aktueller Aufenthaltsort: Eine dunkle Röhre voller Scheiße. Er hatte sich in einen schlecht bewachten Güllewagen gezwängt. Güllewagen fuhren normalerweise durch die Slums, um dort Fäkalien für die Dünger- und Chemikalienproduktion einzusammeln. Ein schmutziges, aber einträgliches Geschäft. In den Slums um Romala gab es keine Kanalisation, daher bezahlten nicht nur die Verwerter fürs Bringen, sondern auch die Slum-Bewohner fürs Abholen. Der Wagen, den Pi gerade als blinder Passagier okkupierte, hielt sich nur innerhalb der Stadtmauern auf, weil die automatische Saugpumpe defekt war – zum Glück für Pi. Der Anfahr-Ruck riss ihn aus seinen pathetischen philosophischen Sinnsprüchen. Offenbar hatte jemand den Fehler behoben. Alles, was Pi und "Pi-Pi", wie er seinen schrumpligen kleinen Bruder seit neuestem nannte, jetzt tun mussten, war warten. Zeit für mehr Philosophie. Nach kurzer Fahrt öffnete sich die obere Luke und der Strahl einer Stablampe stocherte durch die übelriechende Dunkelheit. Pi öffnete ein Auge. Der diensthabende Torwächter hatte jedoch nachvollziehbar wenig Lust auf gründlichere Nachforschungen und warf die Luke schnell wieder zu. Pi schloss ein Auge. Es gab für ihn einen einfachen Trick, mit dem Gestank, ja überhaupt dem Leben an und für sich fertigzuwerden: Er nahm Einfluss auf die Bewertung seiner Mustererkennung. Im konkreten Fall ersetzte er den Ekel gegen Lust, für ihn zwei Seiten derselben Emotionsmedaille. Wenn man keinen Wert auf Freunde legte, funktionierte die Methode ausgezeichnet.
    Es rumpelte und schaukelte. Das Wissen über Romala, das Pi sich im Verlauf der Jahre nicht vermeiden konnte, sich anzueignen, legte nahe, dass er sich nun in den Slums befinden musste. Die meisten Wege dort waren ungepflastert, einige in ihrer Mischfunktion als Wohnraum, Tiergehege, Kinderspielplatz, Versammlungsarena und Kloake kaum noch als solche zu erkennen. Etwas in dieser Art musste gerade unter den Reifen des Güllewagens vor sich gehen, der gerade schepperte und rumorte, dass sich Pi gar nicht erst vorstellen wollte, wie es mit dem Reisekomfort stehe, wenn die erste Ladung Fäkalien ihm Gesellschaft leistete. Er torkelte unter die Einfüllluke und drückte diese mit dem Messer auf. Die Luftqualität verbesserte sich schlagartig. Pi passte einen Moment relativ stabilen Stehens ab und sprang durch die Öffnung aufs Dach des Wagens. Kurz nur überlegte er, ob er die präparierte Luke wieder hinbiegen sollte, um seine Spuren zu verwischen, verwarf diesen Gedanken jedoch sofort wieder als weich. Obwohl in den Slums die Grenzen zwischen drinnen und draußen eher fließend waren, befanden sich augenblicklich nur wenige Menschen in unmittelbarer Nähe. Pi ließ sich auf den Boden fallen, rollte zweimal ab und hechtete dann durch eine offene Belüftungsluke in den nächstbesten Verschlag. Vielleicht nannte der Erbauer diesen Eingang "Fenster", denn auf der anderen Seite der dünnen Restholzwand hingen ein paar Stofffetzen, die derselbe Urheber wahrscheinlich als "Vorhänge" tituliert hätte.
    Pi brauchte einen Moment, um sich in der schummrigen Beleuchtung zu orientieren. Das Hervorstechendste war ein muffiger, verlebter Geruch nach alten Menschen, der ihn an ranzigen Kohl erinnerte. Das letzte Licht des Tages hätte einem Anderen die hässlichen Details erspart, die sich durch Pis

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