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Clemens Gleich

Clemens Gleich

Titel: Clemens Gleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pikmo und Jianna (German Edition)
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machen würde, und beide ließen sich von sehr ähnlichen Gedanken mitreißen, wenn auch mit unterschiedlichen Gefühlen. Nur das Pferd dachte an Äpfel. Statt Hanzi den Kopf abzureißen und unaussprechliche Dinge mit dem Halsstumpf anzustellen, sprang Pi irgendwann einfach vom Karren und verschwand unspektakulär um eine Gebäudeecke – allerdings nicht, ohne vorher noch etwas kaputtzumachen. Er brauchte keinen Blick zurück, um sicher zu sein, dass der Geschirrhändler ihm nicht gefährlich werden konnte. Ihm genügte seine grenzenlose Arroganz. Zielstrebig suchte er eine schattige Ecke auf, in der zwar unangenehmer Verwesungsgestank stand, die jedoch abgeschieden und verlassen schien. Dort entrollte Pi ein Pergament voll seltsam lebendig wirkender Zeichen, produzierte aus der Umhängetasche ein Fläschchen einer aggressiv grünen Tinktur, beträufelte damit das Messer und kramte einen blauen kleinen Schrumpfkopf ohne Zähne, aber mit vielen Runen hervor.
    "Hallo, kleiner Bruder", brummte er zärtlich verachtend. Dann schnitt er sich tief in den Arm. Das sofort hervorquellende dunkle Blut ließ er großzügig auf das Pergament tropfen, wo es eine Lache bildete, die auf dem Papier waberte wie eine riesige Amöbe aus Quecksilber. Pi spuckte in die Mitte des Blutes. Konzentrische Wellenkreise, sich immer wieder aufs Neue anstoßend. Pi drückte den Schrumpfkopf erst zwischen seine geschlossenen Augen an die Stirn, dann in das Pergament. Auf einmal erhielten die wellenzerschnittenen Spiegelbilder eine seltsame Tiefe, das tanzende Blut verschlang seinen Blick und Geist. Stille.
Ein Hotelzimmer.
Licht fällt durch das große Fenster auf ein breites Bett, an dessen Rand eine blaue Figur sitzt.
Hass.
Eine Stimme des Ministeriums erscheint.
Reibt sich die stachelige blonde Frisur, fühlt sich offenbar nicht ganz wohl.
Münder öffnen sich stumm, scheinbar unterhalten sie sich.
Langeweile.
Seltsame, beschwörerische Gesten der Stimme.
Mehr Unterhaltung.
Ungeduld.
Der Blaue steht auf.
Erleichterung.
Er geht zur Tür.
Die Stimme hält ihn am Arm fest.
Er reißt sich vehement los.
Interesse.
Der Blaue verlässt das Zimmer, das Hotel.
Kein Verfolger.
Misstrauen.
Straßenszenen.
Eine Frau mit rotznasigem Bub, der glotzt, bis er stolpert, hinfällt.
Schadenfreude.
Händler und Arbeiter in Alltags-Trance.
Große Transporttiere.
Stillstand.
Ein Laden mit einem großen Schild davor.
"Ich helfe Felligen!"
Triumph.
    Das Dröhnen der Welt weckte Pi, der in seinem klebrigen, krustigen Blut lag. Die Sonne war längst aus den Gebäudeschluchten verschwunden, benetzte nur noch die höchsten Gebäude mit Gold. Trotz kanalfüllender Kopfschmerzen krächzte Pi ein selbstzufriedenes Lachen heraus. Mit derart expliziten Informationen hatte er gar nicht gerechnet. Seinen Bruder hatte er etwas plattgedrückt und vollgeblutet, nun teilte er seine Freude mit ihm, warf ihn hoch und küsste ihn.
    Wenig später hatte Pi Jiannas Laden ausgemacht und sich Zutritt verschafft. Die Wache hatte zwar das Gebäude markiert, war aber offensichtlich noch nicht zu ausführlicheren Ermittlungen gekommen. Alles schien normal zu sein, zumindest normal für einen Laden, der Dinge leicht abseits der Norm im Programm hatte: Bücher über die Tatsache, dass der Leser im Prinzip allmächtig und allwissend und toll sei, ihm dieser Umstand jedoch ausschließlich durch diese Lektüre bewusst zugänglich werden könne. Nur drei Silberschilling. Zauberkräftige Traumtalismane, von garantiert einsamen Eremiten handgeschnitzt. Drei für nur fünf Schilling. Eine Art kleiner Pfeife nebst losem Handbuch über deren Anwendung sowie die unschätzbaren gesundheitlichen Vorteile kontinuierlicher Enddarmentlüftung. Nur 49 Pennies. Im abendlichen Dämmerlicht, das in Streifen durch die Jalousien filterte, stöberte Pi absichtlich unsanft in den feilgebotenen Waren, pustete in eine der Pfeifen, warf den Krempel ungeduldig hinter sich, lachte ausgiebig über die dilettantisch naiven, handkolorierten FAK-Plakate, denen er hier und da mit Jiannas Bürostiften gemeine Details hinzufügte. So arbeitete er sich bis zum Tresen vor, wo er zunächst die kargen Spenden einsackte, bevor er sich über den Schriftverkehr in einer der Schubladen hermachte. 'Sehr geehrte Frau Brieg, wie Ihnen kurzzeitig entfallen sein muss, schulden Sie uns...' Weg damit. 'Sie wurden unter allen Bewohnern der Stadt als Gewinner auserkoren! Damit der Gewinn nicht verfällt, antworten Sie umgehend...' Welcher Kretin

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