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Clemens Gleich

Clemens Gleich

Titel: Clemens Gleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pikmo und Jianna (German Edition)
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Anhaltspunkten im schwarz-weiß-gefleckten Dickicht. Da! Das roch eindeutig nach seinem lieben Bruder. Vergraben, aber nahe. Pi schnüffelte sich in konzentrischen Kreisen kriechend auf sein Ziel zu.
    "Na los!" Hauptmann Gramp saß auf seinem Pferd, das genauso nervös tänzelte, wie er sich selbst fühlte. Vor ihm kauerte der Felligenhund auf dem Boden, seine Nase im Dreck. "Jetzt find schon was!", zischte Gramp.
    Ge-fun-den, dachte Pi, als er an der Stelle des größten Geruchs gut gelaunt zu graben begann. Was er vorhatte, würde einen Moment lang widerlich sein, ihm aber, wenn alles richtig funktionierte, eine Zeitlang perfekte Peilung geben.
    Hab ich dich, dachte Gramp, als die Hunde endlich eine handfeste Witterung aufnahmen. Die Meute warf sich in gestrecktem Galopp in das Maismeer zu ihrer Linken. Pferde und Männer antreibend jagte der Hauptmann ihnen hinterher.
    "Ab dafür", sagte Pi zu sich selbst und schluckte eine große, braune Pille. Es schmeckte scheiße, weil es das war. Pis Gesicht, das schon im entspannten Zustand kein Anblick für schwache Nerven war, verzog sich zu einer regelrechten geometrischen Unmöglichkeit. Sein gesamter Muskeltonus, ohnehin sehr sehnig, verspannte sich, überall traten Sehnen und Adern hervor. Er sank in einen Lotossitz, stierte starr geradeaus, wo sich der Boden neu organisierte. Mit insektoidem Knistern rauschte ein schwarzes Flimmern über die Erde und entfernte molekülweise den Boden unter seinen Beinen, bis dort nur noch die Leere des Alls übrig war. Die Maispflanzen umarmten sich gegenseitig mit ihren Blättern, bis sie eine Wand um ihn formten und merkwürdigerweise sangen sie dabei ein Schlaflied. Pi atmete schwer. Er versuchte, die Augen zu schließen, die Ohren und die Nase, in die das schwarze Flimmern gerade hereindrängte. Er versuchte, seine Arme zur Abwehr zu heben, aber er hatte keine Arme mehr. Sein in Auflösung befindlicher Körper fiel hintenüber kreiselnd ins All und presste einen Schrei heraus: "Aufhören!". Da herrschte Stille. Er sah sich um. Er schwebte in einer warmen, grünlichen Umgebung und wurde von seichter Fahrstuhlmusik berieselt.
    Pi war Pikmo. Er lauschte in entspanntem Wohlbefinden der sedierenden Klangmathematik eines Lehrprogramms und quittierte intern eifrig sein Verständnis durch subtile Signale in den Tank, in dem er schwamm. Durch die grüne Aufzuchtflüssigkeit liefen die wabernden, immateriellen Stränge der Äthermaschinen. Verspielt versuchte Pikmo, nach einer dieser Schlangen zu greifen, doch seine Hand glitt einfach hindurch, der Strang verwirbelte, um sich kurz darauf neu zu formen. Pikmo lachte leise. Seine Muskeln und seine Motorik standen ihm erst seit kurzer Zeit derart zur Verfügung und er freute sich darüber. Er war sehr einfach zu erfreuen.
    Durch das Glas seines zylindrischen Tanks konnte er ringsum seine bisher komplette Welt sehen: ein kleines Labor voller versenkbarer Gerätschaften und Instrumente an den Wänden. Seit ein paar Tagen erst war er wirklich wach und im sozialen Sinne am Leben, und seitdem wurde er dementsprechend behandelt. Die Sichtschutzlamellenjalousie des Tanks war nun tagsüber meistens offen und manchmal besuchte ihn jemand von denen mit den weißen Kitteln. Meistens brachten sie ihm ein Lächeln mit. Ansonsten passierte nichts, das ihn vom eigenen Reifeprozess ablenken könnte. Dann jedoch erschienen zwei energisch auftretende junge Damen in seinem bescheidenen Lebensraum, gefolgt von einem Techniker, dessen sämtliche Körpersignale in fetten Großbuchstaben unsichere Nervosität ausschrien.
    Das Schicksal ist grausam, sagt man, und denkt dabei an Leute wie diesen Techniker, der seit Maras Besuch vor Jahren in einsamen Nächten phantasierte, seine rechte Hand sei ihre rechte Hand. Jetzt stand sie wieder vor ihm. Zwar zeigte sie keinerlei Anzeichen, ihn wiederzuerkennen, aber das machte nicht viel, denn erstens erinnerte ihn ihre abschätzig-kalte Art an die erste Begegnung, als er sein Herz verlor, und zweitens wüsste er mangels Präzedenz ohnehin nicht, wie er mit einer ihm zugeneigten Frau umgehen sollte. Mara hatte noch eine Freundin mitgebracht, und offenbar waren beide beinahe so gestresst wie er. Der Grund dafür mochte ihre hitzige Debatte sein, die sie nur abbrachen, um mit enttäuschtem Blick seine physikale Existenz anzuerkennen.
    "Hey!", versuchte er es mit der Vertrautheit, die man eben so hat, wenn man jemand schon einmal kurz vor langer Zeit flüchtig getroffen hat. Die

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