Clemens Gleich
andererseits gingen ihr die Vorräte aus, weil Pikmo Militärrationen in einer Menge fraß, die sie nicht vorhergesehen hatte. Sie konnten sich schlecht von Gras ernähren, aber etwas anderes schien es hier nicht zu geben. Es war noch gar nicht lange her, als zu ihrer Rechten eine kleine Siedlung gelegen hatte. Vielleicht kamen sie bald an deren Satelliten vorbei, außerhalb gelegenen Höfen oder Häusern. Das wäre doch ein geringes, kalkuliertes Risiko. Jiannas Hintern mobilisierte verräterisch neue Energien ob dieser Aussicht auf einen eventuell gepolsterten Schlafplatz diese Nacht.
Tatsächlich stand kaum eine halbe Stunde später eine erwartungsfrohe Jianna neben einem beumhangten Pikmo im Eingang eines kleinen Aussiedlerhofes. Ein freundliches, bärtiges Gesicht erschien im Eingang und fragte ohne Umschweife:
"Na? Sucht ihr einen Schlafplatz?" Pikmo sah Jianna fragend an.
"Das ist in der Gegend normal", erklärte sie ihm. "Viele Höfe leben regelrecht davon, Reisenden Schlafplätze und Essen anzubieten."
"Ich verdiene mir zumindest ein Zubrot, ja", bestätigte der Bauer und zupfte sich sein rot-blau kariertes Flanellhemd zurecht. "Gibt es ein Problem?"
"Nein, nein", antwortete Jianna mit einer für sie selbst überraschenden Ruhe. "Mein Kollege hier ist einfach nicht von hier. Er ist vom Rand, wissen Sie? Da wird man schnell etwas seltsam." Der Bauer lachte, trat beiseite und lud seine beiden Gäste mit einer ausladenden Armgeste auf sein Grundstück ein. Er fragte nie vorher nach Geld. Mittlerweile erkannte er auf den ersten Blick oder, wahrscheinlicher: den ersten Riecher, ob ein Bittsteller zahlungskräftig war oder lieber ein paar Felder umpflügen wollte.
Im letzten Licht der blauen Stunde versenkte Jianna den letzten Schluck des roten Landweins in ihrer Kehle. Sie saß mit Pikmo auf dem Heuboden unter einem Fenster, das schon die ersten, hellsten Sterne zeigte. Das Abendessen hatte der jungen Frau zusammen mit den Kalorien eine für den Moment unerschütterliche Zuversicht zugeführt, die jetzt vermischt mit Alkohol durch ihr System pulsierte. Es war eine gute Entscheidung gewesen, hier zu rasten. Der Hofbesitzer war freundlich, aber uninteressiert und offenbar nachrichtentechnisch isoliert. Oder es interessierte so weit draußen niemand mehr, was diese Verrückten in der Hauptstadt jetzt schon wieder für komische Probleme hatten. War ja immerhin möglich. Nein, wahrscheinlich. Eigentlich sogar ziemlich sicher. Jianna griff sich eine Handvoll Heu und warf damit lachend nach Pikmo. Der blinzelte, damit ihn die Halme nicht in die Augäpfel piekten und analysierte dann die Situation. Als er die roten Bäckchen sah und den weinhaltigen Atem roch, lieferte er sich mit einer erstmals übermütigen Jianna mangels Kissen eine ausführliche Trockengrasschlacht.
Als die beiden schließlich laut (Jianna) und sparsam (Pikmo) schnaufend im Heu lagen, fiel Jianna ihre Flucht auf dem Kraftzweirad ein. Albern prustend ahmte sie mit spritzenden Lippen Motorengeräusche nach. Dann fiel ihr etwas ein:
"Wieso konnten wir eigentlich mit dem Ding so weit außerhalb der Stadt noch fahren? Ich hab immer gedacht, dass so kleine Maschinen ganz schnell stehenbleiben, wenn sie aus dem Energienetz der Stadt ausgekoppelt werden. So weit kann das doch gar nicht reichen." Pikmo setzte seinen leeren Blick auf, der immer dann über sein Gesicht zog, wenn er vorgelerntes Wissen erstmal nutzte.
"Das war eine SH-01", schwadronierte er schließlich. "Dieses Fahrzeug hat einen Akkumulator, der selbst bei Volllast über Stunden hinweg das Antriebsaggregat inklusive Peripherie versorgen kann. Beim hohen Teillastanteil der hauptsächlich engeren Straßen, die wir gefahren sind, kann die Reichweite erstaunlich hoch sein. Wie du ja gesehen hast."
"Verstehe", log Jianna. Ihr Gewissen meldete sich: "Was ist mit diesem Kerl, dem die Maschine gehört? Wird er in Ordnung sein?"
"Keine Angst. Der Akkumulator hat einen Energiestandsanzeiger. Mit der Restenergie kann er es bis in die Nähe einer Hauptverkehrsader zurückschaffen. Und selbst wenn nicht: So teure Fahrzeuge haben meist irgendwo ein Gerät für den Notfall, mit dem man bei Komplettausfall Hilfe rufen kann."
"Ich wusste, dass du dich um den Mann kümmerst", log Jianna erleichtert. Zutraulich vom Alkohol geworden streichelte sie Pikmos Arm. Die Welt konnte doch gut sein.
Gleichzeitig schickte sich am Hauptgebäude die Welt an, das zu widerlegen. Dort klopfte gerade ein schlaksiger
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