Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
nicht noch ein letztes Mal sehen darf?«
Charlotte schwieg eine Weile. Ein Schatten lag auf ihrem Gesicht, den Will nicht deuten konnte. Gewiss würde sie das doch auch wollen – für Jem, für Tessa, für alle beide? »Nun gut«, sagte sie schließlich. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Sie stiegen vom Ross, einen Trunk zu tun
Aus jenem klaren See,
Da floss in die Welle sein Blut so rot
Und ihr ward im Herzen so weh.
»Halt ein, halt ein, Lord William!«, sie sprach,
»Ich sorg, du bist wund auf den Tod!«
»Es ist nur der Schatten meines Scharlachgewands,
Der scheint aus der Welle so rot.«
»Ach, Herrgott noch mal!«, murmelte Sophie, als sie an der Küche vorbeikam. Musste Bridget denn wirklich immer so düstere Lieder singen? Und musste sie dabei unbedingt Wills Namen verwenden? Als ob der arme Kerl nicht schon genug gelitten hatte …
Ein Schatten tauchte aus der Dunkelheit auf. »Sophie?«
Das Dienstmädchen schrie auf und hätte beinahe die Teppichbürste fallen lassen. Elbenlicht flammte im dämmrigen Korridor auf, dann erkannte sie ein vertrautes graugrünes Augenpaar.
»Gideon!«, stieß Sophie hervor. »Gütiger Himmel, du hast mich fast zu Tode erschreckt.«
Der junge Schattenjäger zog eine zerknirschte Miene. »Tut mir leid. Ich wollte dir nur Gute Nacht wünschen … und du hast so nett gelächelt, als du an mir vorbeigegangen bist. Da hab ich gedacht …«
»Ich hatte nur gerade an Master Will gedacht«, erklärte Sophie und musste dann lächeln, als sie seinen bestürzten Gesichtsausdruck sah. »Noch vor einem Jahr wäre ich entzückt gewesen, wenn man mir erzählt hätte, dass jemand ihn furchtbar quält. Doch jetzt fühle ich mit ihm. Das war auch schon alles.«
Gideon nickte ernst. »Ich fühle ebenfalls mit ihm. Man kann sehen, wie er an jedem Tag, an dem Tessa nicht aus dem Koma erwacht, etwas an Lebensmut verliert.«
»Wenn doch nur der junge Herr Jem hier wäre …«, seufzte Sophie. »Aber das wird wohl nicht möglich sein.«
»In diesen schwierigen Zeiten müssen wir lernen, ohne so manches auszukommen.« Behutsam strich Gideon ihr über die Wange. Seine Finger fühlten sich rau und schwielig an, nicht wie die glatten, gepflegten Hände eines Gentleman. Sophie schenkte ihm ein liebes Lächeln. »Du hast mich beim Abendessen nicht ein einziges Mal angeschaut«, sagte er mit gesenkter Stimme.
Das stimmte: Das Dinner hatte recht unzeremoniell nur aus kaltem Geflügel und Pellkartoffeln bestanden. Keiner der Anwesenden schien richtigen Appetit zu haben – bis auf Gabriel und Cecily, die sich auf das Essen gestürzt hatten, als hätten sie den ganzen Tag trainiert. Und vielleicht hatten sie das ja auch.
»Ich mache mir Gedanken um Mrs Branwell«, gestand Sophie. »Sie hat so viele Sorgen … wegen Mr Branwell und Miss Tessa … Sie siecht förmlich dahin … und das Baby …« Sophie biss sich auf die Lippe. »Ich bin ihretwegen sehr beunruhigt«, schloss sie – zu mehr konnte sie sich einfach nicht durchringen. Es fiel ihr nicht leicht, lebenslange Gewohnheiten als Dienstmädchen abzulegen, auch wenn sie jetzt mit einem Schattenjäger verlobt war.
»Du hast ein gutes Herz«, sagte Gideon und strich ihr mit den Fingern über die Wange, bis sein Daumen sanft ihre Lippen berührte, wie der leichteste aller Küsse. Dann trat er einen Schritt zurück. »Ich habe eben gesehen, wie Charlotte allein in den Salon gegangen ist. Vielleicht möchtest du mit ihr über deine Sorgen reden?«
»Das könnte ich nicht …«
»Sophie«, setzte Gideon erneut an, »du bist nicht nur Charlottes Dienstmädchen, sondern auch ihre Freundin. Wenn sie mit irgendjemanden reden wird, dann mit dir.«
Der Salon war dunkel und kalt. Im Kamin brannte kein Feuer und nicht eine einzige Lampe leuchtete gegen die Schatten der Nacht an, die den Raum mit düsteren Schemen füllten. Sophie benötigte einen Augenblick, bis sie erkannte, dass es sich bei einem dieser Schatten um Charlotte handelte – eine kleine, stille Gestalt auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch.
»Mrs Branwell«, setzte Sophie an und verspürte ein unbehagliches Gefühl, trotz Gideons aufmunternder Worte. Zwei Tage zuvor hatten sie und Charlotte unter dem Cadair Idris Seite an Seite gekämpft, doch nun war sie wieder das Dienstmädchen, das in den Salon kam, um die Asche aus der Feuerstelle zu fegen und Staub zu wischen. Mit einem Eimer Kohlen in einer Hand und einer Zunderbüchse in der weißen Schürze. »Es tut mir leid … ich wollte
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