Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Schürhaken. Dann ging sie zum Kaminsims und nahm ihre Handschuhe herunter, während Will seinen Mantel suchte. Magnus sagte irgendetwas und Woolsey lachte. Doch Tessa schenkte dem Stimmengewirr hinter ihr kaum Aufmerksamkeit; ihr Blick war auf Will geheftet. Sie konnte seinem Gesicht sofort ansehen, dass das Gespräch zwischen ihm und dem Hexenmeister keine Lösung für Jems Problem gebracht hatte. Will wirkte ruhelos und war gespenstisch blass – die Blutspritzer auf den Wangenknochen ließen das Blau seiner Augen nur noch stärker hervortreten.
Magnus führte sie aus dem Salon zur Haustür, wo Tessa die kalte Luft wie eine Woge traf. Rasch streifte sie ihre Handschuhe über und nickte dem Hexenmeister zum Abschied noch einmal zu, der hinter ihnen die Tür schloss und sie beide in die Dunkelheit verbannte.
Zwischen den Bäumen am Embankment glitzerte die Themse und in ihren Fluten spiegelten sich die Lichter der Battersea Bridge – ein Nachtstück in Blau und Gold. Ihre Kutsche wartete im Schatten des Torbogens. Der Mond hoch über ihnen kam einen kurzen Moment hinter den grauen Wolken zum Vorschein, bevor er wieder verschwand.
Will stand vollkommen regungslos da. »Tessa«, sagte er. Seine Stimme klang seltsam, eigenartig gepresst.
Rasch trat Tessa die Stufen hinunter, bis sie neben ihm stand und ihn anschauen konnte. Wills Gesicht war häufig wechselhaft wie das Mondlicht am Himmel, doch so still wie in diesem Moment hatte sie ihn noch nie erlebt. »Hat er gesagt, ob er uns helfen wird?«, fragte sie leise. »Magnus, meine ich …«
»Er will es versuchen, aber … wie er mich angesehen hat … er hatte Mitleid mit mir, Tess. Das bedeutet, es besteht keine Hoffnung mehr, stimmt’s? Wenn sogar Magnus glaubt, dass eine Sache zum Scheitern verurteilt ist, dann gibt es nichts mehr, was ich noch tun könnte, oder?«
Behutsam legte Tessa ihm eine Hand auf den Arm. Will rührte sich nicht von der Stelle. Irgendwie fühlte es sich eigenartig an, so dicht bei ihm zu stehen und seine vertraute Nähe zu spüren, während sie sich monatelang aus dem Weg gegangen waren und kaum ein Wort miteinander gewechselt hatten. Er hatte ihr ja noch nicht einmal in die Augen schauen wollen. Und nun stand er hier, roch nach Seife und Regen und Will … »Du hast schon so viel getan«, flüsterte sie. »Magnus bemüht sich, uns zu helfen, und wir werden ebenfalls weitersuchen. Vielleicht finden wir ja noch einen Weg. Aber du darfst auf keinen Fall die Hoffnung aufgeben.«
»Das weiß ich. Natürlich weiß ich das. Trotzdem empfinde ich tief in meinem Herzen eine Furcht, als hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Hoffnungslosigkeit kenne ich von früher, Tess, aber nicht eine solche Angst. Und doch habe ich gewusst … habe ich immer gewusst …«
… dass Jem sterben würde. Tessa beendete den Satz nicht laut. Er hing unausgesprochen zwischen ihnen.
»Wer bin ich?«, flüsterte Will. »Jahrelang habe ich so getan, als ob ich jemand anders wäre. Und dann habe ich mich schon bei dem Gedanken gefreut, dass ich zu meinem wahren Ich zurückkehren könnte – nur um jetzt festzustellen, dass es kein wahres Ich gibt, zu dem ich zurückkehren kann. Ich war ein ganz gewöhnliches Kind und danach kein besonders guter Mann und jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich das eine oder das andere sein soll. Ich weiß nicht, was ich bin, und wenn Jem nicht mehr ist, gibt es niemanden, der es mir zeigen könnte.«
Tessa antwortete nur: »Ich weiß genau, wer du bist. Du bist Will Herondale.« Und dann spürte sie plötzlich Wills Arme um ihren Körper und seinen Kopf auf ihrer Schulter. Vor Überraschung erstarrte sie im ersten Moment, doch dann erwiderte sie die Umarmung vorsichtig und hielt ihn fest, während er am ganzen Körper zitterte. Allerdings war er nicht in Tränen ausgebrochen; es war eher eine Art Krampf, so als bekäme er keine Luft mehr. Tessa wusste, dass sie ihn eigentlich nicht berühren sollte, aber sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass Jem sich wünschte, sie würde Will in solch einem Moment von sich stoßen. Zwar konnte sie ihm Jem nicht ersetzen, nicht sein Richtungsweiser sein, aber wenn sie sonst schon nichts tun konnte, dann musste sie wenigstens versuchen, ihm seine Bürde ein wenig zu erleichtern.
»Möchtest du diese recht geschmacklose Schnupftabakdose haben, die mir jemand geschenkt hat? Sie ist aus Silber, daher kann ich sie nicht anfassen«, sagte Woolsey.
Magnus stand am Erkerfenster und spähte durch
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