Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
ungeheuerlicher Verrat, dass er nur mit geistiger Umnachtung erklärt werden konnte. Sein Vater hatte ihm versichert, dass Gideon sich eines Besseren besinnen würde, dass er zurückkehren und bei der Verwaltung des Anwesens helfen würde. Aber Gideon war nicht zurückgekehrt. Und als die Tage immer kürzer und dunkler wurden und Gabriel seinen Vater immer seltener zu Gesicht bekam, da hatte er sich allmählich angefangen zu wundern und sich irgendwann auch Sorgen gemacht.
Benedict war gejagt und getötet worden.
Gejagt und getötet. Gabriel ließ sich die Worte wieder und wieder durch den Kopf gehen, doch sie ergaben keinen Sinn. Er hatte ein Monster getötet, so wie man es ihm von Kindesbeinen an beigebracht hatte. Aber dieses Monster war nicht sein Vater gewesen. Sein Vater lebte noch … irgendwo da draußen … und Gabriel würde ihn jeden Moment auf dem Gehweg entdecken, mit seinem wehenden grauen Mantel und den vertrauten, kantigen Gesichtszügen.
»Gabriel.« Die Stimme seines Bruders riss ihn aus dem Nebel seiner Erinnerungen und Träume. »Gabriel, der Konsul hat dich etwas gefragt.«
Verwundert schaute Gabriel auf. Wayland musterte ihn aus dunklen, erwartungsvollen Augen. Die Kutsche rollte inzwischen durch die Fleet Street, auf der Reporter, Rechtsanwälte und Straßenhändler geschäftig durch den dichten Verkehr eilten.
»Ich habe dich gefragt, ob dir die Gastlichkeit des Instituts zugesagt hat«, sagte der Konsul.
Gabriel blinzelte ihn an. Aus dem Nebel der vergangenen Tage waren ihm nur wenige Dinge im Gedächtnis geblieben: Charlotte, die ihn in den Arm nahm. Gideon, der ihm das Blut von den Händen wusch. Cecilys Gesicht, wie eine leuchtende, wilde Blüte. »Ja, ich denke schon«, erwiderte er mit rauer Stimme. »Wenn man bedenkt, dass das Institut nicht mein Zuhause ist.«
»Nun ja, Lightwood House ist sicherlich einzigartig«, sagte der Konsul. »Aber natürlich errichtet auf Blut und Kriegsbeute.«
Verständnislos starrte Gabriel ihn an, während Gideon leicht angewidert aus dem Fenster schaute. »Ich dachte, Sie wollten mit uns über Tatiana sprechen«, sagte er.
»Ich kenne Tatiana«, erwiderte Wayland. »Sie besitzt weder den Verstand eures Vaters noch die Güte eurer Mutter. Ich fürchte, sie hat nicht gerade den besten Teil abbekommen. Ihr Antrag auf Reparationsleistungen wird natürlich abgelehnt.«
Gideon fuhr herum und starrte den Konsul ungläubig an. »Wenn Sie so wenig von ihrer Aussage halten, warum sind wir dann hier?«
»Damit ich euch beide allein sprechen kann«, erklärte der Konsul. »Ihr müsst wissen, als ich Charlotte zur Leiterin ernannte, hatte ich die Hoffnung, dass dem Institut die Hand einer Frau guttun würde. Granville Fairchild war einer der unerbittlichsten Männer, die ich je gekannt habe, und obwohl er das Institut streng nach dem Gesetz geführt hat, war es ein kalter und alles andere als einladender Ort. Ausgerechnet hier in London, der großartigsten Stadt der Welt, konnte ein Schattenjäger sich nicht wie zu Hause fühlen.« Er zuckte die Achseln. »Ich dachte, wenn ich Charlotte mit der Leitung des Instituts beauftrage, würde sich das möglicherweise ändern.«
»Charlotte und Henry«, berichtigte Gideon.
»Henry war in dieser Angelegenheit nur eine Randfigur«, schnaubte der Konsul. »Wir wissen doch alle: In dieser Ehe hat sie die Hosen an, wie es so schön heißt. Henry sollte sich nicht einmischen – und das hat er in der Tat auch nicht getan. Doch das Gleiche galt eigentlich auch für Charlotte: Sie sollte gefügig sein und nach meinen Wünschen handeln. Und in dieser Hinsicht hat sie mich schwer enttäuscht.«
»Aber Sie haben sich doch für sie und gegen unseren Vater ausgesprochen!«, platzte Gabriel heraus, bereute seine Worte aber sofort. Gideon warf ihm einen scharfen Blick zu, woraufhin Gabriel seine behandschuhten Hände fest im Schoß verschränkte und die Lippen aufeinanderpresste.
Wayland musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. »Glaubst du etwa, euer Vater wäre gefügig gewesen?«, fragte er. »Ich hatte die Wahl zwischen zwei Übeln und ich habe mich für das kleinere entschieden. Schließlich hatte ich die Hoffnung, ich könnte Charlotte doch noch in den Griff bekommen. Aber jetzt …«
»Sir«, unterbrach Gideon den Konsul in besonders höflichem Ton, »warum erzählen Sie uns das alles?«
»Ah«, murmelte Wayland und warf einen Blick durch das regennasse Fenster. »Wir sind da.« Energisch klopfte er gegen die
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