Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Clovis Dardentor

Clovis Dardentor

Titel: Clovis Dardentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
auch nur einen Schnup-
    fen gehabt . . . niemals eine Pille oder einen Kräutertee ein-
    genommen! . . . Sie werden mir gestatten zu glauben, daß
    ich selbst auf Ihre Verordnung hin mich jedes Medizinie-
    rens enthalte. Oh, ich gehe sehr gern mit Ärzten um! . . . Das
    sind ganz brave Herren, die nur den einen Fehler haben,
    den Leuten schon die Gesundheit zu verderben, wenn sie
    ihnen nur nach dem Puls fühlen oder ihre Zunge ansehen!
    — 62 —
    . . . Im übrigen aber bin ich entzückt, mich an Ihre Seite set-
    zen zu können, und wenn das Essen gut ist, werd’ ich ihm
    alle Ehre antun!«
    Doktor Bruno hielt sich noch nicht für geschlagen, ob-
    gleich er erkannt hatte, daß sein Nachbar ihn in der Ge-
    schwätzigkeit übertraf. Er gab seine Antworten, ohne die
    Ärzte gegen einen so gut ausgerüsteten Gegner besonders
    in Schutz zu nehmen. Da überdies die Suppe aufgetragen
    war, dachte jeder nur noch daran, seinen durch die Seeluft
    erhöhten Appetit zu befriedigen.
    Anfangs blieben die Schwankungen des Dampfers so
    schwach, daß sie die Tischgäste nicht belästigten, mit Aus-
    nahme des Herrn Désirandelle, der weiß wie eine Serviette
    geworden war. Man fühlte nichts von dem Schaukeln, das
    die Horizontale kompromitiert, noch von dem Heben und
    Senken, das die Vertikalität stört. Änderte sich dieser Sach-
    verhalt während der Mahlzeit nicht, dann konnten die ver-
    schiedenen Gerichte ohne Schaden bis zum Dessert einan-
    der ablösen.
    Plötzlich begann jedoch das Tafelgeschirr zu klappern.
    Die Hängelampen des Speisesalons wiegten sich über den
    Köpfen der Tischgäste hin und her. Ein Rollen und Stamp-
    fen verband sich, um eine allgemeine Verwirrung unter den
    Passagieren hervorzurufen, deren Sitze sich zuweilen beun-
    ruhigend neigten. Arme und Hände verloren die Sicherheit
    ihrer Bewegung. Gläser waren nur schwierig an den Mund
    zu setzen und die Gabeln stachen den Leuten meist in die
    Wangen oder ins Kinn.
    — 63 —
    Die meisten Tischgäste konnten das nicht ertragen, Herr
    Désirandelle war einer der ersten, der die Tafel mit verräte-
    rischer Eile verließ. Soundso viele andere folgten ihm, um
    draußen frische Luft zu schöpfen, trotz des Zuredens von
    Kapitän Bugarach, der wiederholt erklärte:
    »Das hat nichts zu bedeuten, meine Herren . . . dieser
    Seitensprung der ›Argèlès‹ wird nicht lange anhalten!«
    Und Clovis Dardentor rief dazwischen:
    »Da wackeln sie nun im reinen Gänsemarsch hinaus!«
    »Ja, so ist es immer!« erwiderte der Kapitän, mit den Au-
    gen zwinkernd.
    »Nein!« versetzte unser Perpignaneser. »Ich begreife
    nicht, daß einer das Herz nicht im Leib behält!«
    Angenommen, daß dieser Ausdruck den Gesetzen des
    menschlichen Organismus nicht widerspricht, und wenn
    das Herz wirklich seine Ortslage verändern kann, wie es
    jene volkstümliche Redeweise andeutet, so strebte das Herz
    jener guten Leute doch keinewegs danach, hinab-, sondern
    vielmehr zu ihren Lippen emporzusteigen. Kurz, als der
    Oberkellner die Zwischengerichte herumreichen ließ, zählte
    man an der Tafel nicht mehr als etwa zehn unerschrockene
    Gäste. Zu ihnen gehörten außer den an solche rutschende
    Teller und Schüsseln der Dining-rooms gewöhnten Kapi-
    tän Bugarach und Doktor Bruno zunächst Clovis Darden-
    tor, der treu auf Posten blieb, Agathokles, den die Flucht
    seines Vaters sehr gleichgültig ließ, die beiden Vettern Mar-
    cel Lornans und Jean Taconnat, deren Verdauung in keiner
    Weise gestört war, und der unermüdliche Eustache Orien-

    — 64 —
    — 65 —
    tal, der auf die weiteren Gänge gespannt war, die bedienen-
    den Burschen ausfragte und gar nicht daran dachte, sich
    über die unzeitgemäßen Stöße der ›Argèlès‹ zu beklagen, da
    er ja die Auswahl unter den dargebotenen Gerichten hatte.
    Nach dem Auszug der schon zu Anfang der Tafel außer
    Rand und Band geratenen Tischgäste aber warf Kapitän Bu-
    garach Doktor Bruno einen eigentümlichen Blick zu, und
    dieser antwortete darauf mit ebenso seltsamem Lächeln.
    Dieses Lächeln und jener Blick schienen verständlich ge-
    nug gewesen zu sein, denn wie auf einem Spiegel glänzten
    sie von dem sonst unbeweglichen Gesicht des Oberkellners
    wieder zurück.
    Da stieß Jean Taconnat seinen Vetter mit dem Ellbogen
    und sagte leise:
    »Das war der gewöhnliche ›Kniff‹!«
    »Der mir sehr gleichgültig ist, Jean!«
    »Und mir erst recht!« versicherte Jean Taconnat, der auf
    seinen Teller eine saftige Schnitte von

Weitere Kostenlose Bücher