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Clovis Dardentor

Clovis Dardentor

Titel: Clovis Dardentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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daß ihr Kontokorrent
    immer mit einem Plus auf der Kreditseite abschloß. Man
    kennt ja diese Erscheinungen mit scharfgeschnittenen Ge-
    sichtszügen, vortretenden Stirnhöckern, durchdringendem
    Blick und ernstem Mund – mit alledem, was bei dem soge-
    nannten schwachen Geschlecht ebenso bestimmt bewahrte
    Gewohnheiten wie Hartnäckigkeit und Zähigkeit verrät.
    Frau Elissane hatte ihr Hauswesen nach wohlüberlegten
    Vorschriften organisiert und nirgends nutzlose Ausgaben
    gestattet. Sie machte noch Ersparnisse, die sie sicher und
    fruchttragend anzulegen verstand. Handelte es sich jedoch
    um ihre Tochter, der ihre ganze Liebe gewidmet war, so sah
    sie das Geld nicht so genau an. Ihre Wünsche galten nur
    dem Glück dieses einzigen Kindes, und sie bezweifelte gar
    nicht, daß dessen Glück durch die geplante Verbindung mit
    der Familie Désirandelle ausreichend gesichert sein werde.
    Die 12.000 Francs Rente, die Agathokles dereinst besitzen
    würde, und dazu das Vermögen, das Louise von ihrer Mut-
    ter zu erhoffen hatte, ergab ja eine metallische Grundlage,
    die gewiß viele Leute für solide genug hielten, um eine sor-
    genlose Zukunft darauf zu begründen.
    Louise selbst konnte sich kaum noch an Agathokles erin-
    nern. Ihre Mutter hatte sie aber in dem Gedanken erzogen,
    daß sie eines Tages Frau Désirandelle jun. werden würde;
    — 163 —
    das erschien dem jungen Mädchen auch ganz natürlich, vo-
    rausgesetzt, daß der ihr bestimmte Freier ihr auch gefiele,
    und warum sollte er nicht alle Eigenschaften haben, um zu
    gefallen?
    Nachdem Frau Elissane ihre letzten Befehle erteilt hatte,
    begab sie sich in den Salon, wo ihre Tochter ebenfalls er-
    schien.
    »Dein Dessert ist fertig, mein Kind?« fragte sie.
    »Ja, liebe Mutter.«
    »Es ist unangenehm, daß der Dampfer erst so spät, fast
    mit anbrechender Nacht ankommt! . . . Doch um 6 Uhr
    mußt du mit der Toilette fertig sein, Louise; zieh das klein-
    karierte Kleid an, wir gehen dann zum Hafen hinunter, wo
    der ›Agathokles‹ vielleicht schon als in Sicht gemeldet ist.«
    Frau Elissane, die den Namen verwechselte, betonte hier
    das e der Endsilbe, die doch in jenem Namen fast tonlos
    ist.»Du meinst wohl die ›Argèlès‹, antwortete Louise la-
    chend. »Und dann heißt mein Zukünftiger auch nicht Aga-
    thoklés, sondern Agáthokles.«
    »Schon gut«, erwiderte Frau Elissane, »Argèlès oder
    Agathoklés, das hat ja nicht viel zu bedeuten! Du kannst
    dich aber darauf verlassen, daß er keinen Fehler begehen
    wird, wenn er den Namen Louise ausspricht . . .«
    »Bist du dessen so sicher?« versetzte das junge Mädchen
    neckisch. »Der Herr Agathokles kennt mich ja kaum und
    ich gestehe, daß ich ihn auch nicht genauer kenne.«
    — 164 —
    »Oh, wir werden euch schon Zeit geben, vor einer Ent-
    scheidung wieder nähere Bekanntschaft zu machen.«
    »Das ist wohl nicht mehr als billig!«
    »Übrigens bin ich überzeugt, daß du ihm gefallen wirst,
    mein Kind, und ihm muß doch erst recht daran liegen, daß
    er dir zu gefallen sucht. Frau Désirandelle ist ja seines Lobes
    voll! Dann vereinbaren wir den Ehevertrag . . .«
    »Und das Ergebnis der Aufstellung, Mutter . . .«
    »Wird natürlich zu deinen Gunsten sein . . . Vergessen
    wir indes nicht, daß ihr Freund, Herr Clovis Dardentor, die
    Désirandelles begleitet . . . Du weißt doch, jener reiche Per-
    pignaneser, auf den sie so stolz sind und der – ihrem Reden
    nach – der beste Mensch von der Welt sein soll. Da Herr
    und Frau Désirandelle nicht an Seefahrten gewöhnt sind,
    hat er sie nach Oran herüberlotsen wollen. Es ist ja recht
    nett von dem Mann, und wir werden ihn freundlichst emp-
    fangen, Louise . . .«
    »Ganz nach Verdienst, und selbst wenn’s ihm einfiele,
    um meine Hand anzuhalten . . . doch nein, ich vergesse, daß
    ich Frau Agathokles werden soll und sein werde – Agatho-
    kles . . . ein hübscher Name, wenn auch von etwas gar zu alt-
    griechischem Anklang.«
    »Sei doch einmal ernsthaft, Louise!«
    Das junge Mädchen war auch ernsthaft, trotz ihres lus-
    tigen und bestechenden Naturells. Sie war das aber nicht,
    weil es die Eigenschaft jeder gewöhnlichen Romanheldin
    ist, sondern infolge ihrer Jugend, ihrer freimütigen Natur,
    die sich in den lebhaften, beweglichen Zügen, in den »sam-
    — 165 —
    tenen« glänzenden Augen, mit dunkler Pupille in azur-
    blauer Iris, in dem reichen, dunkelblonden Haare und in
    ihrer graziösen Haltung aussprach.
    Diese flüchtigen

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