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Clovis Dardentor

Clovis Dardentor

Titel: Clovis Dardentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Pinselstriche genügen zu dem Bild Lou-
    ise Elissanes, und der Leser erkennt wohl schon daraus, daß
    sie sich nicht wenig von dem Tropf unterschied, den man
    ihr mit den anderen Frachtstücken der ›Argèlès‹ von Cette
    her zusendete.
    Als die Stunde gekommen war und die Herrin des Hau-
    ses einen letzten Blick in die Zimmer der Familie Désiran-
    delle geworfen hatte, rief Frau Elissane ihre Tochter und
    beide gingen nach dem Hafen hinunter. Sie wollten zuerst
    in dem amphitheatralischen Garten, der die ganze Reede
    beherrscht, haltmachen. Von hier aus reicht der Blick bis
    zum hohen Meer hinaus. Der Himmel war herrlich, der Ho-
    rizont vollkommen klar. Schon senkte sich die Sonne nach
    der Landspitze Mers-el-Kebir, dem Portus divinus der Al-
    ten, neben der Panzerschiffe und Kreuzer gegen die häufi-
    gen Weststürme vortrefflichen Schutz finden.
    Im Norden leuchteten einige weiße Segel. Lange Rauch-
    wolken bezeichneten die Dampfer der zahlreichen Schiffs-
    linien des Mittelmeers, die an der afrikanischen Küste mün-
    den. Zwei oder drei dieser Paketboote steuerten offenbar
    auf Oran zu, und eines davon konnte kaum noch 3 Seemei-
    len vom Hafen sein. War das die ›Argèlès‹, die von der Mut-
    ter, wenn auch nicht von der Tochter so sehnsüchtig erwar-
    tet wurde? Louise kannte den Burschen ja gar nicht, den
    jede Schraubendrehung näher brachte, und vielleicht wär’
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    es besser gewesen, wenn die ›Argèlès‹ wieder rückwärts lief
    . . . »Es ist schon um halb 7«, bemerkte Frau Elissane. »Wir
    wollen ganz hinuntergehen.«
    »Ich folge dir, Mutter«, antwortete Louise.
    Durch die breite, am Kai ausmündende Straße erreich-
    ten Mutter und Tochter das Hafenbecken, worin die Damp-
    fer gewöhnlich anlegen.
    Frau Elissane fragte einen der Hafenbeamten, ob die
    ›Argèlès‹ schon gemeldet sei.
    »Ja, Madame«, antwortete der Beamte, »sie muß in einer
    halben Stunde einlaufen.«
    Frau Elissane und ihre Tochter spazierten nun um den
    Hafen, an dessen Nordseite einige Anhöhen den Ausblick
    nach dem Meer verhindern.
    20 Minuten später ertönte ein langgedehntes Pfeifen. Der
    Dampfer steuerte eben um die Spitze des 1 Kilometer lan-
    gen Hafendamms, der vom Fuß des Fort La Moune ausgeht,
    und nach einigen Wendungen legte das Schiff am Kai an.
    Gleich nach Herstellung der Verbindung mit dem Land
    begaben sich Frau Elissane und Louise an Bord. Die erstere
    öffnete die Arme, um Frau Désirandelle, die sich seit dem
    Einlaufen in den Hafen endlich wieder wohler fühlte, an
    sich zu drücken und ebenso Herrn Désirandelle und Aga-
    thokles zu begrüßen, während Louise mehr Zurückhaltung
    bewahrte, was alle jungen Mädchen begreifen werden.
    »Nun, und ich, meine vortreffliche, hochgeehrte Dame?
    . . . Haben wir uns denn in Perpignan nicht gekannt? Ich er-
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    innere mich an Frau Elissane und Fräulein Louise, die frei-
    lich inzwischen etwas gewachsen ist, sehr gut! . . . Sapper-
    ment, fällt denn kein Küßchen, oder lieber zwei, für den
    alten Freund Dardentor ab?«
    Wenn Patrice etwa gehofft hatte, daß sein Herr bei die-
    sem Wiedersehen sich als Mann von Welt zeigen würde,
    mußte er sich durch solche Vertraulichkeiten freilich grau-
    sam enttäuscht sehen. Er zog sich also in gerechtem Unwil-
    len in dem Augenblick zurück, wo die Lippen Clovis Dar-
    dentors auf die dürren Wangen von Frau Elissane klatschten
    wie der Klöpfel auf das Trommelfell.
    Selbstverständlich hatte sich Louise der stürmischen Be-
    grüßung des Désirandelleschen Ehepaars nicht ganz entzie-
    hen können. So ungeniert aber Herr Dardentor auch sonst
    auftrat, ging er doch nicht so weit, auch das junge Mäd-
    chen mit einem väterlichen Kuß zu beglücken, obwohl die-
    ses einen solchen vielleicht mit guter Miene hingenommen
    hätte.
    Der junge Agathokles, der auf Louise zutrat, hatte sie nur
    mit einem mechanischen Gruß beehrt, an dem unter Mit-
    hilfe der Halsmuskeln sein Kopf allein teilnahm, dann wich
    er, ohne ein Wort zu sprechen, wieder zurück.
    Das junge Mädchen konnte sich nicht enthalten, den
    Mund etwas verächtlich zu verziehen, was zwar Clovis Dar-
    dentor nicht bemerkte, was aber weder Marcel Lornans
    noch Jean Taconnat entging.
    »Alle Wetter«, sagte der erstere leise, »ich hätte nicht er-
    wartet, ein so hübsches Kind zu sehen!«

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    »Wahrhaftig, ein hübsches Mädchen«, stimmte der
    zweite ein.
    »Und sie soll diesen Hohlkopf heiraten?« fügte

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