Clovis Dardentor
von Saïda hübsche Bil-
der, Landschaften, die das Auge entzücken müssen, und rei-
zende Aussichten, die einem Maler den Pinsel in die Hand
drücken könnten. Auch hier prangen herrliche Weinge-
lände und reiche Baumschulen und Gärten, worin die ganze
algerische Flora vertreten ist. Wie überhaupt die drei Pro-
vinzen der fanzösischen Kolonie, zeigt auch die saïdische
Landschaft überall den Charakter der Fruchtbarkeit. Eine
halbe Million Hektar sind hier allein der Kultur der Alfa
gewidmet. Der Erdboden ist von bester Beschaffenheit und
die Talsperre des Oued-Méniarin versorgt ihn mit dem nö-
tigen Wasser. So liefert das Land reiche Ernten, neben de-
nen auch ausgedehnte Brüche von gelbgeadertem Marmor
eine gutbezahlte Ausbeute sichern.
— 249 —
Das veranlaßte Herr Dardentor zu der auch von anderen
hellen Köpfen wiederholt erörterten Frage:
»Wie kommt es, daß Algerien sich trotz seiner natür-
lichen Ressourcen doch nicht selbst versorgen kann?«
»Hier wachsen zu viele Beamte und zu wenig Kolonis-
ten, die von den ersteren erstickt werden wie Nutzpflanzen
durch überwuchernde Disteln!«
Der Spaziergang wurde bis auf 2 Kilometer nordwestlich
von Saïda fortgesetzt. Hier, auf einer Berglehne, an deren
Fuß der Méniarin etwa 100 Meter tiefer dahinplätschert, er-
hob sich einst die alte Stadt, freilich nur Ruinen der Festung
des berühmten arabischen Häuptlings, den das schließliche
Los aller Eroberer traf.
Zur Essenszeit kehrte die Gruppe Dardentor nach dem
Hotel zurück, und nach der Tafel verschwand jedermann
bald in seinem Zimmer, um die letzten Vorbereitungen zur
Abreise zu treffen.
Wenn für Jean Taconnat auch dieser Tag mit sich aufhe-
benden Nutzen und Verlust abschloß, konnte doch Marcel
Lornans seine Aktivseite durch einen glücklichen Eintrag
bereichern . . . hatte er doch Gelegenheit gefunden, sich mit
Louise Elissane zu unterhalten, sich für ihre Bemühungen
zu bedanken . . .
»Ach, Herr Lornans«, hatte das junge Mädchen geant-
wortet, »als ich sie so leblos, kaum atmend daliegen sah,
fürchtete ich, daß . . . Nein, diese Minuten werd’ ich niemals
vergessen!«
Offenbar bezeichneten diese Worte weit mehr, als der
— 250 —
»gewaltige Schreck«, von dem Herr Dardentor gesprochen
hatte.
12. KAPITEL
Worin die Karawane Saïda verläßt und in Daya ankommt
Am nächsten Tag, 1 Stunde vor dem Aufbruch, wartete
das Personal und das Material der Karawane am Bahnhof
auf das Eintreffen der Touristen. Der Anführer Dérivas er-
teilte die letzten Befehle. Der Araber Moktani sattelte sein
Pferd. Drei offene Wagen und ein Proviantwagen, die auf
dem Platz vor dem Bahnhof standen und worauf die Kut-
scher schon Platz genommen hatten, waren fertig, mit ihren
feurigen Gespannen im Galopp davonzufahren. Wiehernd
bäumten sich ein Dutzend Pferde und Maultiere, während
reich geschirrte Kamele friedlich am Boden lagen. Fünf für
die Dauer des Ausflugs angeworbene Eingeborene, die in
ihren weißen Burnussen mit gekreuzten Armen in einem
Winkel hockten, warteten nur auf das Signal des Anfüh-
rers.Mit der neun Personen zählenden Gruppe Dardentor
sollte die Karawane aus sechzehn Teilnehmern bestehen.
Andere sieben, von Oran gekommene Reisende – Herr Ori-
ental inbegriffen –, die seit 2 Tagen in Saïda weilten, hat-
ten sich dieser unter den besten Bedingungen organisier-
ten Rundfahrt angeschlossen. Eine Dame befand sich unter
jenen nicht. Frau und Fräulein Elissane sowie Frau Dési-
— 251 —
randelle bildeten die einzigen Vertreterinnen des schöneren
Geschlechts.
Clovis Dardentor und seine Gefährten und Gefährtin-
nen, denen Patrice schon vorausgegangen war, trafen zu-
erst auf dem Bahnhof ein. Nach und nach erschienen die
übrigen Touristen, meist Oraneser, von denen einige Frau
Elissane kannten.
Das Fernrohr auf dem Rücken und die Reisetasche in der
Hand, grüßte Herr Eustache Oriental die Ex-Passagiere der
›Argèlès‹, die seinen Gruß erwiderten. Diesmal ging aber
Herr Dardentor mit ausgestreckter Hand und lächelnd auf
ihn zu.
»Sie sind auch dabei?« fragte er.
»Jawohl«, antwortete der Vorsitzende der Astronomi-
schen Gesellschaft von Montélimar.
»Ich sehe auch mit Vergnügen, daß Sie Ihr Fernrohr
nicht vergessen haben. Desto besser, denn es könnte der
Fall eintreten, daß man das Auge, und zwar ein scharfes
Auge, auftun müßte, wenn die Führer uns etwa in die Pat-
sche geritten
Weitere Kostenlose Bücher