Club Kalaschnikow
angefertigten Protokolle und Expertengutachten durchsah. Wozu sollte eine junge Frau nachts auf eine verlassene Baustelle gehen? Aber man hätte sie im Auto dorthin bringen können. Lebend oder vielleicht auch schon tot. Jemand mit eigenem Wagen dürfte allerdings kaum auf den billigen Schmuck und das bißchen Kleingeld, das sie bei sich hatte, erpicht gewesen sein. Irgendwas stimmt hier nicht.
Endlich fand er das Wort, das dieses unklare, unangenehme Gefühl, das ihn seit Tagen verfolgte, genau umschrieb: Inszenierung.
Noch am selben Tag fuhr Kusmenko zur Mutter der Ermordeten. Ella Anatoljewna wiederholte fast wortwörtlich alles, was sie schon Katja und Pawel erzählt hatte.
»Können Sie sich vielleicht daran erinnern, wo Swetlana sich verabredet hatte?« fragte der Major.
»Um zehn Uhr am Haushaltswarengeschäft. Das ist hier in der Nähe, nur zwei Häuserblocks weiter.«
Am Samstagabend um zehn war das Haushaltswarengeschäft natürlich geschlossen. Aber gleich daneben stand ein Kiosk, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Im Kiosk saß das Mädchen, das auch in der Nacht von Samstag auf Sonntag gearbeitet hatte.
»Woher soll ich das noch wissen!« sagte sie achselzuckend. »Wissen Sie, wie viele Leute hier jeden Tag vorbeikommen?«
»Diese Frau hat bei Ihnen Schokolade gekauft, einen Bounty-Riegel!« platzte Kusmenko aufs Geratewohl heraus.
»Eine große Frau, sagen Sie? Mollig? In einem weißen Angorapullover und einer Jeansjacke? Geben Sie noch mal her.« Sie nahm das Foto von Sweta, betrachtete es lange und aufmerksam und sagte endlich: »Genau. Diese Frau hat bei mir am Samstag gegen zehn einen Schokoriegel gekauft. Sie war grob zu mir, deshalb erinnere ich mich. Wer ist sie, eine Kriminelle?«
»Nein, ein Mordopfer. Samstagnacht wurde sie auf einer verlassenen Baustelle umgebracht, darum ist es sehr wichtig, daß Sie sich erinnern, in was für ein Auto sie gestiegen ist.«
»Na, das sind ja Sachen!« Die Verkäuferin pfiff durch die Zähne. »Ja, stimmt, sie ist in ein Auto gestiegen. Auf das Kennzeichen habe ich nicht geachtet, aber es war ein schwarzer Wagen. Vermutlich ein Lada, vielleicht auch ein ausländisches Modell, ein Opel oder Volkswagen, keins von den protzigen. So genau hab ich nicht hingeguckt, aber ichkonnte sehen, daß ein junger Kerl am Steuer saß, mit einer Ledermütze, den Schirm nach hinten gedreht.«
»Sind Sie sicher, daß es ein Mann war?«
»Ich glaub schon.« Die Verkäuferin zuckte die Schultern. »Es war eine Männermütze, aber sein Gesicht habe ich nicht gesehen.«
***
Als er seinen Wagen vor dem Haus an der Mestschanskaja-Straße parkte, dachte Barinow mit einem spöttischen Grinsen, daß er sich noch nie, noch kein einziges Mal auf die Uneigennützigkeit und Gutmütigkeit anderer verlassen hatte. Jetzt aber hatte er keinen anderen Ausweg. Er konnte Katja Orlowa weder einschüchtern noch mit irgendeinem praktischen Vorteil ködern.
Katja begrüßte ihn mit ihrer gewohnten kühlen Höflichkeit.
»Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, deshalb laß uns bitte gleich zur Sache kommen«, bat sie und setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel.
»Ich weiß, du hast jetzt überhaupt eine schwere Zeit. In deinem Alter Witwe zu werden … Wie weit sind die Ermittlungen?«
»Wieso interessiert dich das?«
»Ja, siehst du, ich hatte kürzlich ein unangenehmes Gespräch mit Valera. Es ist natürlich völliger Schwachsinn, aber ich gehöre zum Kreis der Tatverdächtigen. Nicht für die Staatsanwaltschaft, versteht sich, nur für Valera. Ich denke, ich brauche dir nicht zu erklären, wie unangenehm das für mich ist.«
»Du?« fragte Katja verwundert.
»Ja, stell dir vor. Das Schlimme dabei ist, daß ich überhaupt nicht verstehe, woher der Wind weht. Nur du kannst mir helfen, das herauszufinden. Ich kann schon gar nicht mehr schlafen, nichts ist so widerlich, wie im Dunkeln zutappen. Könnte dein Mann etwas gegen mich gehabt haben? Könnte er sich bei Lunjok über mich beschwert haben?«
»Jegor, was ist das für ein Kindergarten? Sich beschwert haben! Sag bloß noch, er hat dich verpetzt. Wie hat Valera seinen Verdacht denn begründet?«
»Sehr verschwommen. Er hat etwas über Mädchen gesagt und hat unsere alte Affäre erwähnt.«
»Über Mädchen?« fragte Katja mißtrauisch. »Soweit mir bekannt ist, hattest du ziemlich lange ein ganz bestimmtes Mädchen, die Masseurin Sweta Petrowa.«
»Woher weißt du das?« Er schluckte krampfhaft.
»Unwichtig.
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