Club Noir - 1
nichts unternehmen konnte sie ebenso wenig. Die Situation bot ihr keinerlei Ausweg.
Gedankenverloren wanderte Jesse durch die Straßen. Sie kam an ihrem Lieblingscafé „Melinda“ vorbei und beschloss hineinzugehen. Nach einer großen Tasse heißer Schokolade würde die Welt sicher schon ganz anders aussehen. Abwesend nahm sie an einem freien Tisch am Fenster Platz und gab ihre Bestellung auf. Nur flüchtig bedankte sie sich bei der freundlichen Bedienung. Die Frau kannte Jesse bereits von vielen früheren Besuchen. Sie hatten schon oft geplaudert. Jesses ungewöhnlich stille und in sich gekehrte Art fiel ihr gleich auf. Allerdings sagte sie nichts, sondern wandte sich nur seufzend ab.
Jesse sah hinaus auf die belebte Straße. „Ihr“ London vermittelte den gewohnt bunten und lebenslustigen Eindruck. Doch sie konnte sich an diesem Tag nicht dafür erwärmen. Auch die heiße Schokolade trug nicht dazu bei, dass sich ihre Stimmung wieder hob. Sie musste zurück nach Brüssel, kam es ihr immer wieder in den Sinn. Aber wie sollte sie das ertragen? Alles in dieser Stadt würde sie an Andrew erinnern. Vor allem das Hotel von Monsieur Rochelle. In keinem Falle konnte sie wieder dorthin.
Nicht enden wollende Schauer der Lust strömten durch ihren Körper, als sie an die gemeinsamen erotischen Stunden dachte. Wie gut sich Andrews Berührungen angefühlt hatten! Seine athletische Gestalt und seine perfekten Bewegungen! Er hatte eine heftige Ekstase in ihr geweckt. Insgeheim sehnte sie sich nach ihm. Sie verzehrte sich nach seinen Händen, seinem Mund.
Seufzend lehnte sie sich in dem Stuhl zurück. Kopfschüttelnd verdrängte sie diese intensiven Gedanken. Wie schaffte Andrew es selbst nach alledem und trotz der Distanz, ihr Innerstes zu beherrschen?
Sie würde sich in Brüssel eine andere Bleibe suchen müssen. Noch immer steckte der Reiseführer in der Seitentasche ihres Koffers. Ganz sicher standen darin Adressen und Übernachtungsmöglichkeiten. Sie spielte gar mit dem Gedanken, ihren Aufenthaltsort des Öfteren zu wechseln. Nur für den Fall, dass sie von irgendjemandem verfolgt wurde.
Allmählich gelang es Jesse, sich mit der Situation abzufinden. Sie würde erneut nach Brüssel reisen und die Ausstellung von Joaquin Worthing zu einem guten Abschluss bringen. Tatsächlich schämte sie sich sogar ein wenig für ihr kindisches Verhalten. Sie hatte sich von ihrer Panik überrumpeln lassen. Nun fasste sie nach und nach neuen Mut. Anscheinend hatte ihr nur die Ruhe gefehlt, um ihre Gedanken zu ordnen.
Sie verließ das Café „Melinda“ und trat hinaus auf die belebten Straßen von London. Ihre geliebte Stadt hüllte sie wie ein schützender Mantel ein. Schon fühlte sie sich viel wohler in dieser Umgebung. Die Menschenmenge tat ihr gut. Sie konnte sich in ihr verlieren, in sie hineinwachsen. Eine ganze Weile streifte sie so herum, bis ein kleiner Laden mit Silberschmuck ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ketten mit Kreuzanhängern in den verschiedensten Varianten waren in der Auslage zu bestaunen. Jesse erinnerte sich nicht daran, diesen Laden je gesehen zu haben. Sie trat ganz dicht an die Scheibe und betrachtete die Stücke eingehend. Durch einen Spalt konnte sie auch einen Blick in den Innenraum werfen. Ein älterer Mann saß dort hinter einer provisorischen Theke. Er hielt eine Tasse an seine Lippen und trank einen Schluck des dampfenden Inhalts. Freundlich lächelte er Jesse zu.
Im nächsten Augenblick verschwamm seine Gestalt vor ihren Augen. Sie zuckte zusammen, als sich in der Scheibe ein anderes Wesen formte. Eine Hand legte sich von hinten auf Jesses Schulter. Zuerst wirkte die Peson unklar, doch nach und nach traten die Konturen immer deutlicher hervor.
„Louis!“, durchfuhr es sie. Es war ohne Zweifel sein Gesicht, das sie dort höhnisch grinsend erblickte. Aber wie konnte das sein? War er so besessen, dass er sie tatsächlich verfolgte? Oder wurde er am Ende sogar von Andrew geschickt?
Ganz deutlich spürte sie nun den Druck auf ihrer Schulter. Seine Augen fixierten sie und im nächsten Moment schoben sich spitze Eckzähne aus seinem leicht geöffneten Mund hervor.
Panisch wirbelte Jesse herum. Fest entschlossen, ihm die Stirn zu bieten, hob sie ihre geballten Hände. Doch von Louis war weit und breit keine Spur. Lediglich einige Passanten liefen an ihr vorbei. Allesamt warfen ihr erstaunte Blicke zu.
Das konnte doch nicht sein!
Jesse sah nach allen Seiten und warf auch einen Blick zurück in
Weitere Kostenlose Bücher