Cobra - Forsyth, F: Cobra - Cobra
sei einem kriminellen Gepäckarbeiter in Madrid zum Opfer gefallen, der versucht habe, ihren Koffer auf dem Flug nach New York für den Transport eines Kilogramms Kokain zu benutzen, das ein paar Wochen zuvor bei einer Stichprobenkontrolle am Kennedy Airport entdeckt worden sei. Der Mann sei in Spanien festgenommen worden und habe mit seinem Geständnis die kolumbianische Studentin entlastet, die daraufhin aus der Haft entlassen wurde und nach Madrid zu ihrem Kunststudium zurückkehren konnte.
Die Meldung erregte kein Aufsehen, aber sie wurde in Kolumbien registriert und aufgezeichnet. Danach spielte Roberto Cardenas die Aufnahme immer wieder ab, denn so konnte er die Tochter sehen, die er seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, und das erinnerte ihn auch an ihre Mutter Conchita, die wunderschön gewesen war.
Anders als viele Spitzenleute des Kokaingeschäfts hatte Cardenas nie eine Vorliebe für Protzerei und Luxus entwickelt. Er kam aus der Gosse und hatte sich in den alten Kartellen nach oben gekämpft. Als einer der Ersten hatte er Don Diego als aufsteigenden Stern erkannt und begriffen, welche Vorteile die Zentralisierung und Konzentration des Geschäfts mit sich brachten. Deshalb hatte der Don, der von Cardenas’ Loyalität überzeugt war, ihn schon sehr früh in die neu gegründete Hermandad aufgenommen.
Cardenas hatte den animalischen Instinkt eines scheuen Tieres. Er kannte sich in seinem Wald aus, er spürte jede Gefahr, und er versäumte es nie, eine Rechnung zu begleichen. Er hatte nur eine Achillesferse, und ein Rechtsanwalt, dessen allzu regelmäßige Besuche in Madrid von einem Computerfreak im fernen Washington entdeckt worden waren, hatte sie bloßgelegt. Als Conchita, die Letizia nach ihrer Trennung allein großgezogen hatte, an Krebs gestorben war, hatte Cardenas seine Tochter aus dem Schlangennest, in dem sie lebten, weggeschickt. Er selbst war dazu verdammt, darin zu leben, weil er keine andere Welt kannte.
Nachdem Eberhardt Milch in Hamburg aufgeflogen war, hätte Cardenas sich schleunigst in Sicherheit bringen sollen. Das wusste er; seine Antennen ließen ihn nicht im Stich. Aber er weigerte sich schlichtweg. Er hasste alles, was mit »Ausland« bezeichnet wurde. Die Armee seiner bestochenen ausländischen Beamten konnte er nur durch ein Team junger Männer führen, das wie Fische zwischen den ausländischen Korallen umherschwamm. Ihm selbst war das unmöglich, und das wusste er.
Wie ein Dschungelbewohner bewegte er sich von einem Versteck zum anderen, auch in seinem eigenen Urwald. Er besaß fünfzig solcher Schlupflöcher, hauptsächlich in der Umgebung von Cartagena, und er kaufte Wegwerfhandys mit Prepaid-Karten, als wären es Bonbons. Nie tätigte er damit mehr als einen Anruf, bevor er sie in den Fluss warf. Er lebte so scheu, dass selbst das Kartell manchmal einen Tag brauchte, um ihn zu finden. Und der äußerst effiziente Colonel Dos Rios, Nachrichtendienstchef bei der Rauschgiftbekämpfung der Policía Judicial, konnte es gar nicht.
Die meisten seiner Schlupflöcher waren Arbeiterhütten, obskur und schlicht, ja, spartanisch eingerichtet. Doch es gab eine Schwäche, die er sich gestattete: Er liebte seinen Fernseher. Er hatte das beste und neueste Modell mit Plasmabildschirm und die schärfste Satellitenantenne, und beides begleitete ihn ständig.
Gern saß er mit einem Sixpack Bier davor, zappte durch die Satellitenkanäle oder schob eine DVD in den Player unter dem Bildschirm. Er liebte Cartoons; Wile E. Coyote brachte ihn zum Lachen, und er war von Natur aus kein Mann, der lachte. Gern sah er auch die »Cop«-Serien auf Hallmark TV , denn dort konnte er sich lustig machen, sowohl über die Inkompetenz der Verbrecher, die immer gefasst wurden, als auch über die Unfähigkeit der Polizisten, die einen Roberto Cardenas niemals gefasst hätten.
Und er liebte die Aufzeichnung der Nachrichtensendung, die er immer wieder abspielte. Sie zeigte eine schöne, aber abgespannt aussehende junge Frau am Kennedy Airport. Manchmal stoppte er die DVD und starrte eine halbe Stunde lang das Standbild an. Nach dem, was er getan hatte, um diesen kurzen Film zu ermöglichen, würde früher oder später jemand einen Fehler machen, das wusste er.
Als der Fehler dann begangen wurde, geschah es ausgerechnet in Rotterdam. Ein Kaufmann, der vor hundert Jahren dort gelebt hatte, würde diese uralte Stadt kaum wiedererkennen. Ja, nicht einmal ein britischer Tommy, der Anfang 1945 in einem
Weitere Kostenlose Bücher