Cobra - Forsyth, F: Cobra - Cobra
erkennen, was eine gute Story war. Er trank einen Schluck Wein und warf einen Blick auf den Artikel, der da vor ihm lag. Als Journalist hatte er seine Zweifel, doch als Chefredakteur erkannte er, dass er selbst irgendwann eine Gefälligkeit würde einfordern können, wenn er sich jetzt hilfsbereit zeigte.
Der Artikel handelte von einer Polizeirazzia in England; eine neu angekommene Kokainlieferung war in einem alten Hangar sichergestellt worden. Schön, es war eine große Lieferung, eine ganze Tonne, aber man entdeckte dauernd so etwas, und es wurde bald zu alltäglich, um noch eine echte Nachricht zu sein. Es war immer das Gleiche. Ein Stapel Ballen, strahlende Zöllner, düstere Gefangene, die in Handschellen den Kameras vorgeführt wurden. Was war an einer Story aus Essex, von dem er noch nie gehört hatte, so Besonderes? Colonel Dos Rios wusste es, wagte es jedoch nicht auszusprechen.
»In dieser Stadt gibt es einen bestimmten Senator«, murmelte er stattdessen, »der ein sehr diskretes Freudenhaus zu besuchen pflegt.«
Der Redakteur hatte eine Gegengabe erhofft, aber das hier war lächerlich.
»Ein Senator hat etwas mit Mädchen«, schnaubte er. »Genauso gut könnten Sie mir erzählen, dass die Sonne im Osten aufgeht.«
»Wer hat etwas von Mädchen gesagt?«, fragte Dos Rios.
Der Redakteur verzog beifällig die Nase. Jetzt witterte er doch noch etwas Gutes.
»Na schön. Ihre Gringo-Story erscheint morgen auf Seite zwei.«
»Auf Seite eins«, sagte der Polizist.
»Danke für den Lunch. Ist ein seltenes Vergnügen, einmal nicht die Rechnung zu übernehmen.«
Insgeheim wusste der Chefredakteur, dass sein Freund etwas bezweckte, aber er hatte keine Ahnung, was es sein konnte. Das Foto und die Bildunterschrift kamen von einer großen Londoner Presseagentur. Das Bild zeigte einen jungen Gangster namens Coker neben einem Stapel Kokainballen, von denen einer aufgerissen und die Innenverpackung sichtbar war. Na und? Trotzdem setzte er es am nächsten Tag auf die Titelseite.
Emilio Sanchez las den Espectador für gewöhnlich nicht. Zudem verbrachte er die meiste Zeit damit, die Produktion im Dschungel zu beaufsichtigen, die Verbesserung der verschiedenen Labors und die versandtaugliche Verpackung der Ware. Aber zwei Tage nach dem Erscheinen dieser Meldung kam er auf der Rückfahrt von Venezuela an einem Zeitungsstand vorbei. Das Kartell hatte große Labors gleich jenseits der Grenze in Venezuela eingerichtet, wo sie durch die vergifteten Beziehungen zwischen Kolumbien und dem Reich Hugo Chavez’ vor Colonel Dos Rios und seinen Razzien geschützt wurden.
Snachez hatte seinen Fahrer vor einem kleinen Hotel in der Grenzstadt Cúcuta anhalten lassen, weil er auf die Toilette gehen und eine Tasse Kaffee trinken wollte. Am Zeitungsstand in der Lobby hing eine zwei Tage alte Ausgabe von El Espectador . Etwas an dem Foto auf Seite eins ließ Sanchez zusammenzucken. Er kaufte das einzige übrig gebliebene Exemplar und machte sich auf dem gesamten Rückweg zu seinem anonymen Haus in seiner Heimatstadt Medellín Sorgen.
Nur wenige Menschen können alles im Kopf behalten. Aber Emilio Sanchez lebte für seine Arbeit und war stolz auf seinen methodischen Ansatz und die Besessenheit, mit der er seine Akten in Ordnung hielt. Nur er wusste, wo er sie aufbewahrte, und aus Sicherheitsgründen war ein Extratag notwendig, um das Geheimversteck aufzusuchen und die Unterlagen zu überprüfen. Er nahm eine Lupe mit, und als er damit über dem Foto und seinen eigenen Versandunterlagen brütete, wurde er weiß wie ein Laken.
Wieder einmal wurde die Zusammenkunft durch die Sicherheitsbesessenheit des Don gebremst. Drei Tage mussten vergehen, in denen potenzielle Beobachter abgeschüttelt wurden, bevor die beiden Männer sich treffen konnten. Als Sanchez zu Ende gesprochen hatte, war der Don sehr still. Er nahm das Vergrößerungsglas und studierte die Unterlagen, die Sanchez mitgebracht hatte, und das Foto in der Zeitung.
»Da kann es keinen Zweifel geben?«, fragte er mit mörderischer Ruhe.
»Keinen, Don Diego. Diese Versandnotiz bezieht sich auf eine Charge, die vor ein paar Monaten mit einem venezolanischen Fischtrawler namens Belleza del Mar an die Galicier geliefert wurde. Sie ist nicht angekommen. Sie ist auf dem Atlantik spurlos verschwunden. Aber sie ist doch angekommen. Das da ist die Lieferung. Ein Irrtum ist nicht möglich.«
Don Diego Esteban schwieg sehr lange. Als Emilio Sanchez etwas sagen wollte, schnitt ihm der
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