Cobra - Forsyth, F: Cobra - Cobra
kriminelle Vereinigung von allen. Wie die italienische Regierung herausfinden musste, ist sie auch am schwersten zu unterwandern, und sie ist die einzige, in der das Gelübde des absoluten Stillschweigens, die Omertá, nach wie vor nicht gebrochen wird.
Anders als die sizilianische Mafia hat die ’Ndrangheta keinen »Don der Dons«; sie ist nicht pyramidenförmig strukturiert. Sie ist nicht hierarchisch, und die Mitgliedschaft basiert fast ausschließlich auf Familienzugehörigkeit und Blutsbanden. Die Infiltration durch Fremde ist ein Ding der absoluten Unmöglichkeit, von Rebellen aus dem Innern hat man buchstäblich noch nie gehört, und erfolgreiche Anklagen sind selten. Sie ist ein dauerhafter Albtraum für die römische Anti-Mafia-Kommission.
Ihre traditionelle Heimat, das Hinterland der Provinzhauptstadt Reggio di Calabria und die Hauptstraße an der Küste, ist ein unwegsames Land mit Dörfern und Kleinstädten, die bis in das Aspromontegebirge hineinreichen. Bis vor Kurzem wurden in den Höhlen dort Geiseln festgehalten, die gegen Lösegeld freigelassen oder getötet wurden, und hier liegt die inoffizielle Hauptstadt Plati. Jeder Fremde, jedes unbekannte Auto, das sich ihr nähert, wird schon meilenweit im Voraus entdeckt und nicht willkommen geheißen. Die Stadt ist kein Touristenmagnet.
Aber Caldazo musste nicht dorthin reisen, um die Bosse zu treffen, denn die Ehrenwerte Gesellschaft hatte inzwischen die gesamte Unterwelt der größten Stadt Italiens in Besitz genommen, des industriellen Kraftwerks und finanziellen Motors des Landes: Mailand. Die eigentliche ’Ndrangheta ist nach Norden gewandert und hat Mailand zur Drehscheibe des Kokain handels für Italien und vielleicht für den ganzen Kontinent gemacht.
Kein ’Ndrangheta-Boss würde sich im Traum einfallen lassen, einen Abgesandten zu Hause zu empfangen, und sei er noch so wichtig. Dafür gibt es Restaurants und Bars. Drei südliche Vororte von Mailand werden von den Kalabresern beherrscht, und das Treffen mit dem Mann aus Kolumbien fand in der Lions Bar in Buccinasco statt.
Drei Männer saßen Calzado gegenüber und hörten sich seine entschuldigenden und beruhigenden Worte an: der Capo Locale und zwei Funktionsträger. Der eine war der Contabile, der Buchhalter, dessen Zahlen auf der Gewinnseite trostlos aussahen.
Wegen der besonderen Qualitäten der Ehrenwerten Gesellschaft, wegen ihrer Verschwiegenheit und ihrer Skrupellosigkeit bei der Aufrechterhaltung der Ordnung, hatte Don Diego Esteban sie zu seinem wichtigsten europäischen Geschäftspartner gemacht. Diese Beziehung hatte dafür gesorgt, dass sie zum größten Import- und Vertriebsunternehmen des Kontinents geworden war.
Mit Gioia besaß sie praktisch einen eigenen Hafen, aber einen großen Teil ihrer Ware erhielt sie auch auf dem Landweg von Westafrika zur nordafrikanischen Küste, die Südeuropa gegenüberlag, und von den galicischen Schiffen aus Spanien. Beide Lieferwege, so teilten sie Calzado mit, waren stark beeinträchtigt, und die Kalabreser erwarteten, dass die Kolumbianer etwas dagegen unternahmen.
Jorge Calzado saß den einzigen Dons in ganz Europa gegenüber, die es wagten, dem Oberhaupt der kolumbianischen Hermandad auf gleicher Augenhöhe entgegenzutreten. Als Calzado wieder in seinem Hotel war, freute er sich wie sein Vorgesetzter auf die Rückkehr in seine Heimat Bogotá.
Colonel Dos Rios lud nicht oft Journalisten zum Mittagessen ein, nicht einmal Chefredakteure. Das sollte andersherum funktionieren. Chefredakteure hatten die fetten Spesenkonten. Aber meistens landet die Rechnung neben dem Teller dessen, der eine Gefälligkeit erwartet. Und diesmal war das der Nachrichtendienstchef der Policía Judicial. Und selbst er tat es für einen Freund.
Dos Rios unterhielt gute Arbeitsbeziehungen zu den beiden Niederlassungsleitern der amerikanischen DEA und der britischen SOCA in seiner Stadt. Die Zusammenarbeit, die unter Präsident Juan Manuel Santos um so viel leichter geworden war, erbrachte Dividende für beide Seiten. Die Übergabe der Rattenliste hatte die Cobra für sich behalten, denn sie betraf Kolumbien nicht, aber andere Kostbarkeiten, die von den Kameras des endlos kreisenden Global Hawk Michelle entdeckt worden waren, hatten sich für Dos Rios als äußerst nützlich erwiesen. Hier jedoch ging es um eine Gefälligkeit für die britische SOCA .
»Die Story ist gut«, beharrte der Polizist, als könnte der Chefredakteur von El Espectador nicht selbst
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