Cobra - Forsyth, F: Cobra - Cobra
Ma’am?«
Etwas lag unter der Leinenjacke, den beiden Baumwollröcken und den zusammengefalteten Blusen. Nicht groß – ungefähr so groß wie ein Kilopaket Zucker aus dem Supermarkt. Gefüllt mit etwas, das aussah wie Talkumpuder. Dann begriff sie. Es überkam sie wie eine Woge der Übelkeit, ein Faustschlag in den Solarplexus, und eine lautlose Stimme in ihrem Kopf schrie: »Nein, das bin ich nicht, das war ich nicht, das gehört mir nicht, jemand muss es da hineingelegt haben …«
Die stämmige Frau stützte sie, aber nicht aus Mitgefühl, sondern für die Kameras. Die New Yorker Gerichte sind so besessen von den Rechten der Beschuldigten, und die Strafverteidiger stürzen sich mit solchem Eifer noch auf den winzigsten Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften, um auf diesem Weg eine Einstellung des Verfahrens zu erwirken, dass aus Sicht der Justizbehörden nicht die kleinste Formalität ignoriert werden darf.
Nach Öffnung des Koffers und der Entdeckung eines Pakets, dessen Inhalt zunächst lediglich ein nicht identifiziertes weißes Pulver war, wurde Letizia Arenal, wie man es offiziell nannte, »erkennungsdienstlich behandelt«. Später konnte sie sich an all das nur albtraumhaft verschwommen erinnern.
Sie wurde in einen anderen, besser eingerichteten Raum im Terminalgebäude gebracht. Hier stand eine Reihe von digitalen Aufzeichnungsgeräten. Andere Männer kamen dazu. Letizia wusste es nicht, aber sie kamen von der DEA und dem Immigration and Customs Enforcement , der Zoll- und Einwanderungspolizei des Heimatschutzministeriums, kurz ICE . Den amerikanischen Zoll eingerechnet, waren es jetzt drei Behörden, die sie auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage in Gewahrsam nahmen.
Obwohl sie gut Englisch sprach, erschien ein Spanisch sprechender Dolmetscher. Man las ihr ihre Rechte vor, die Miranda-Rechte, von denen sie noch nie gehört hatte, und nach jedem Satz wurde sie gefragt: »Haben Sie verstanden, Ma’am?« Immer das höfliche »Ma’am«, obwohl ihre Gesichter ihr verrieten, dass sie sie verachteten.
Irgendwo wurde ihr Pass minutiös untersucht. Woanders behandelte man ihren Koffer und ihre Schultertasche mit der gleichen Aufmerksamkeit. Das Paket mit dem weißen Pulver wurde zur Analyse geschickt, in ein chemisches Labor in einem anderen Gebäude. Erwartungsgemäß erwies es sich als reines Kokain.
Wichtig war die Tatsache, dass es rein war. Eine kleine Menge von verschnittenem Pulver könnte als »persönlicher Bedarf« erklärt werden. Ein Kilo reines Kokain nicht.
In Anwesenheit von zwei Frauen musste sie sich splitternackt ausziehen, und ihre Kleidung wurde weggebracht. Sie bekam einen Papieroverall, den sie anziehen durfte. Eine speziell ausgebildete Ärztin nahm eine invasive Leibesvisitation in allen Körperöffnungen vor, die Ohren eingeschlossen. Inzwischen schluchzte Letizia hemmungslos. Aber die »erkennungsdienstliche Behandlung« nahm ihren Lauf, und zwar stets vor den Kameras. Kein superschlauer Anwalt würde dieses Luder hier herausholen.
Schließlich teilte ihr ein hochrangiger DEA -Beamter mit, sie habe das Recht auf einen Anwalt. Sie war nicht förmlich vernommen worden, jedenfalls noch nicht. Ihre Miranda-Rechte waren nicht verletzt worden. Sie erklärte, sie kenne keinen Anwalt in New York. Ein Verteidiger werde vom Gericht bestellt, nicht von ihm, antwortete der DEA -Mann.
Immer wieder wies sie darauf hin, dass ihr Verlobter draußen auf sie warte. Dieser Hinweis wurde keineswegs ignoriert. Wer immer da auf sie wartete, konnte ein Komplize sein. Die Leute in der Halle vor dem Zollausgang wurden gründlich überprüft, aber ein Domingo de Vega war nicht dabei. Entweder hatte sie ihn erfunden, oder er hatte als ihr Komplize die Flucht ergriffen. Gleich am nächsten Morgen würde man sich nach einem puertoricanischen Diplomaten bei den Vereinten Nationen erkundigen.
Sie bestand darauf, alles zu erklären, und verzichtete auf ihr Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen. Sie erzählte ihnen alles, was sie wusste – nämlich nichts. Sie glaubten ihr nicht. Dann hatte sie eine Idee.
»Ich bin Kolumbianerin. Ich will jemanden von der kolumbianischen Botschaft sprechen.«
»Da wäre das Konsulat zuständig, Ma’am. Aber es ist jetzt zehn Uhr abends. Wir werden morgen früh versuchen, jemanden zu bekommen.«
Der Mann, der ihr das sagte, war vom FBI , aber das wusste sie nicht. Rauschgiftschmuggel in die USA ist ein Verstoß gegen Bundesgesetze, und deshalb war die Bundespolizei
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