Cobra
Wenn Priesly ihnen ein Angebot macht, das ihn in Zukunft verpflichtet, den Mund zu halten …« Er schüttelte den Kopf. »Denkbar, dass sie darauf eingehen.«
»Die Cobras brauchen wir trotzdem noch«, warf Justin ziemlich aufgebracht ein. »Sogar mehr denn je zuvor. Solange Esquiline und die anderen neuen Welten in diesem Ausmaß expandieren, brauchen sie eine regelmäßige Versorgung mit Cobras. Ganz zu schweigen davon, dass wir hier eine glaubwürdige Cobra-Truppe benötigen, falls irgendeine Fraktion der Trofts auf den Gedanken komm…«
»Langsam, Bruderherz«, schnitt Corwin ihm das Wort ab und hob abwehrend die Hände. »Mich brauchst du nicht mehr zu überzeugen, schon vergessen?«
»Entschuldige«, knurrte Justin. »Prieslys Leute gehen mir einfach auf die Nerven. Ich wünschte, es hätte schon früher jemand bemerkt, dass die Jects ein politisches Pulverfass sind, das nur auf den Funken wartet. Spätestens seitdem wir die Geschichte mit dem Cobra-Syndrom herausgefunden hatten, hätte das jedem klar sein müssen.«
»Hinterher weiß man es immer besser, wie?«, sagte Corwin trocken. »Was hättest du denn getan?«
»Sie mit dem üblichen Nanocomputer ausgestattet und sie von Anfang an zu echten Cobras gemacht«, knurrte Justin. »Es ist eine Vergeudung von Zeit, Energie und teurer Ausrüstung, sie mit einer Knochenbeschichtung und Servos herumlaufen zu lassen, deren Einsatz ihnen ihr Computer nicht erlaubt.«
Corwin zog die Augenbrauen hoch. Dieses Argument hatte er schon oft gehört, wenn auch nicht von Justin. »Das ist doch nicht dein Ernst?«
»Wieso nicht?«, konterte Justin. »Na schön, in der Trainingsphase sind psychologische Schwierigkeiten ans Licht gekommen, die bei der Voruntersuchung übersehen wurden. Na und? Die meisten Sachen waren gar nicht so gravierend. Hätte man ihnen
Zeit gelassen, wären sie wahrscheinlich irgendwann von selbst draufgekommen.«
»Und was ist mit den schweren Fällen?«, fragte Corwin. »Wärst du tatsächlich das Risiko eingegangen, potenziell instabile Cobras auf die Öffentlichkeit loszulassen?«
»Damit wären wir schon fertiggeworden«, blieb Justin hartnäckig. »Man hätte sie irgendwo weit weg von hier einsetzen können – Dauereinsatz bei der Stachelleopardenjagd vielleicht, oder man hätte die wirklich heiklen Fälle nach Caelian schicken können. Wenn sie nicht kapiert hätten, was mit ihnen nicht stimmt, hätten sie irgendwann etwas Idiotisches angestellt und sich dabei selbst umgebracht.«
»Und falls sie nicht so entgegenkommend gewesen wären?«, fragte Corwin ruhig. »Wenn sie stattdessen zu der Ansicht gelangt wären, dass man sie aufs Abstellgleis schieben will, und sie sich hätten rächen wollen?«
Das war ein Dämpfer, der sich deutlich in Justins Gesicht widerspiegelte. »Ja«, stöhnte er. »Dann hätten wir wieder das gleiche Problem wie mit Challinor gehabt.«
Ein Schauder kroch Corwin den Rücken hoch. Tors Challinors Putschversuch lag bereits ein gutes halbes Jahrhundert zurück. Er war noch gar nicht geboren gewesen, und doch kannte er die Geschichte aus den Erzählungen seiner Eltern so gut, als wäre er selbst dabei gewesen. Dafür hatte Jonny schon gesorgt. Der Zwischenfall hatte ein paar entscheidende Wahrheiten ans Licht gebracht, und Jonny hatte nicht gewollt, dass sie je wieder in Vergessenheit gerieten. »Vergiss bitte eins nicht: Diesmal wären es keine grundsätzlich stabilen Cobras gewesen, die einer idiotischen Bürokratie die Dinge aus der Hand nehmen wollen. Es wären fehlerhafte Cobras gewesen, und zwar ein verdammt großer Haufen.« Er holte tief Luft und schob die Erinnerung beiseite. »Zugegeben, Priesly ist eine Plage. Aber als Ject kann er wenigstens nur politische Macht anstreben.«
»Vermutlich hast du Recht«, seufzte Justin. »Es ist nur so … ach, was soll’s. Wo wir aber schon beim Thema sind …« Er kramte
in seiner Hemdtasche und zog eine MagCard hervor, die er auf den Schreibtisch warf. »Hier ist unser neuester Vorschlag, wie sich die verbliebenen Mängel im Vorabpsychotest beseitigen lassen. Ich dachte, wenn ich sowieso herkomme, kann ich ihn dir auch im Voraus geben.«
Corwin nahm die MagCard an sich und versuchte, das Gesicht nicht zu verziehen. Von Justin war das durchaus vernünftig und unter normalen Umständen nichts, über das sich irgendwer beschweren könnte. Doch im Augenblick waren die Umstände im Rat und im Direktorat nicht gerade normal. Im Voraus. Corwin konnte sich vorstellen,
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