Cocktail fuer einen Vampir
mir fiel nichts ein, worauf ich mich freuen konnte.
Irgendwie musste ich mich aus diesem Zustand des Unglücklichseins herausziehen. Lange könnte ich mich durch Tage wie diesen nicht hindurchkämpfen.
Es würde mich glücklich machen, meinen kleinen Cousin Hunter zu sehen. Mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht hatte ich die Hand schon aufs Telefon gelegt,um seinen Dad anzurufen, ehe mir aufging, was für ein fataler Fehler es wäre, Hunter hierher einzuladen. Das Kind war wie ich Telepath und würde in meinem Kummer wie in einem Buch lesen können … eine schreckliche Situation für Hunter.
Ich versuchte, mir etwas anderes Schönes einfallen zu lassen, auf das ich mich freuen könnte. Tara würde heute aus dem Krankenhaus kommen, ich sollte ein Essen für sie kochen. Ich versuchte, die Energie aufzubringen und das zu planen, doch es gelang mir nicht. Okay, verschieben wir ’s auf später. Ich fischte nach weiteren schönen Ideen, doch nichts ließ sich lange genug festhalten, um meine düstere Stimmung aufzuhellen.
Als mein Vorrat an Selbstmitleid durch Grübeleien über meine unhaltbare Situation mit Eric ausgeschöpft war, fand ich, dass ich mich lieber mal auf jenen Tod konzentrieren sollte, der diese aktuelle Krise ausgelöst hatte, zum Teil jedenfalls. Also las ich die Nachrichten im Internet, doch bislang war im Mordfall Kym Rowe noch niemand verhaftet worden. Detective Ambroselli wurde in einem Zeitungsartikel mit den Worten zitiert: »Die Polizei hat noch keinen Hauptverdächtigen, aber wir verfolgen verschiedene Spuren. Falls irgendjemand in der fraglichen Nacht im Bereich Clearwater Cove etwas gesehen hat, möge er sich bitte bei der Polizei melden.« Es wäre interessant zu erfahren, ob Bill und Heidi schon etwas herausgefunden hatten, und es wäre – vielleicht – interessant, den Autor Harp Powell zu fragen, warum er sich mit den Rowes herumtrieb. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass er eigentlich ein oder zwei Stufen über dem stand, was er da tat – einen schnellen Dollar aus dem Mord an einer jungen, selbstzerstörerischen Stripperin herauszupressen.
Es tat gut, ein paar Projekte im Kopf zu haben, und daran hielt ich mich fest, während ich mein morgendliches Ritual abspulte. Heute sollten im Merlotte’s die Spinde für die Angestellten angeliefert werden. Das würde bestimmt Spaß machen. Jedenfalls dann, wenn man nur eine eingeschränkte Vorstellung von Spaß hatte.
Ich musste mich geradezu antreiben, voranzukommen, und als ich es endlich geschafft hatte, trat ich mit einer Miene grimmiger Entschlossenheit durch die Hintertür ins Merlotte’s. Als ich meine Schürze umband, spürte ich, wie mein Mund sich zu seinem schlimmsten Lächeln verzog, zu jenem, das nur eine Botschaft aussandte, nämlich: »Ich bin verrückt.« Es war schon lange her, seit ich dieses Lächeln zuletzt aufgesetzt hatte.
Ich machte die Runde an meinen Tischen, und da erst fiel mir auf, dass Sam nicht hinter dem Tresen stand, schon wieder nicht . Noch ein Mann, der nicht da war, wenn ich ihn brauchte. Vielleicht waren Jannalynn die Schreckliche und er ja nach Arkansas gefahren, um sich eine Heiratserlaubnis zu besorgen. Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen, und mein Lächeln wandelte sich schlagartig zu einer finsteren Miene. Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte durch die Hintertür des Merlotte’s hinaus. Sams Pick-up stand nicht bei seinem Wohnwagen. Mitten auf dem Parkplatz für Angestellte presste ich mir das Handy ans Ohr, nachdem ich eine Kurzwahltaste gedrückt hatte.
Nach dem zweiten Klingeln ging Sam ran.
»Wo bist du?«, knurrte ich. Wenn ich trotz all meines Unglücks hier war, sollte Sam gefälligst auch auftauchen. Waren wir nicht so eine Art Partner?
»Ich habe noch einen Tag freigenommen«, sagte er, sofort im Bilde über meine Laune. Er tat nur so gelassen.
»Ernsthaft, Sam, wo bist du?«
»Ja, du klingst verdammt ernsthaft.« Jetzt war er kurz davor, selbst wütend zu werden.
»Hast du geheiratet?« Die Vorstellung, Sam könnte mit Jannalynn in den Flitterwochen sein – und sich amüsieren, während Eric mich unglücklich machte –, war einfach nicht zu ertragen. Ich hatte immer mal wieder Momente gehabt, in denen ich begriff, wie weit jenseits aller Vernunft meine Reaktionen auf bestimmte Ereignisse lagen (meistens dann, wenn meine allmonatlichen Beschwerden mich fest im Griff hatten), und gewöhnlich reichte dieses Begreifen aus, um alle Unangemessenheit zu
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