Cocktails fuer drei
fühlte sich teilnahmslos, alles war weit weg, bis auf das Gefühl von Sonne und Sand und den scharfen Geschmack der ersten Margarita am Abend. Irgendwo in England gingen die Menschen, die sie kannte und liebte, ihrem Alltag nach, aber in ihrer Erinnerung waren sie wie Schatten, wie Menschen aus ihrer Vergangenheit.
Nur gelegentlich blitzte der Schmerz auf, so heftig, dass sie nur die Augen schließen und warten konnte, bis es vorbei war. Als sie eines Abends an ihrem Ecktisch in der Bar saß, stimmte die Band einen Song an, den sie mit Ralph immer gehört hatte, und aus heiterem Himmel spürte sie einen Stich in ihrem Herzen, dass ihr die Tränen kamen. Doch sie saß ganz ruhig da, ließ die Tränen auf ihren Wangen trocknen, ohne sie wegzuwischen. Und dann ging der Song zu Ende, und der nächste begann, und ihre Margarita kam. Und als sie ausgetrunken hatte, dachte sie an etwas völlig anderes.
Nach zwei Wochen wachte sie auf, trat an ihr Fenster und spürte einen ersten Anflug von Langeweile. Sie war rastlos, voller Energie. Plötzlich kam ihr das Hotel eng und beschränkt vor. Es hatte ihr Schutz geboten, doch nun war es wie ein Gefängnis. Sie wollte nur noch weg. Weit, weit weg. Ohne nachzudenken, nahm sie ihren Koffer und fing an zu packen. Sie wollte gar nicht erst still sitzen und überlegen, welche Möglichkeiten ihr blieben. Nachdenken tat weh. Reisen war Hoffnung und Abenteuer.
Als sie Gerhard im Hotelfoyer zum Abschied einen Kuss gab, hatte sie bereits einen Flug nach Nairobi gebucht und ihre Freunde im Hilton angerufen. Eine Woche zum halben Preis und ein Nachlass auf die zweiwöchige Safari. Sie würde für den Londoner darüber schreiben, und noch für viele andere. Sie würde Elefanten fotografieren und die Sonne über dem Horizont aufgehen sehen. Sie wollte in die Weite der afrikanischen Steppe eintauchen und sich darin verlieren.
Der Flug war nur halb voll, und nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der Frau am Check-in gewährte man Roxanne ein Upgrade. Zufrieden grinsend schlenderte sie an Bord und machte es sich auf ihrem breiten Sitz bequem. Als die Flugbegleiter die Sicherheitsanweisungen vorführten, nahm sie einen kostenlosen Daily Telegraph zur Hand und fing an, die Titelseite zu lesen, ließ die vertrauten Namen und Themen wie Regen auf ihren ausgedörrten Geist niederregnen. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, seit sie in England gewesen war. Sie blätterte ein paar Seiten weiter und sah sich einen Artikel über Ferienmode an.
Inzwischen war die Maschine auf der Startbahn und rollte immer schneller. Das Gebrüll der Turbinen wurde immer lauter, fast ohrenbetäubend. Die Maschine nahm Geschwindigkeit auf, bis es schien, als ginge es nicht mehr schneller, und dann – mit einem kleinen Ruck – erhob sie sich in die Luft. In diesem Moment blätterte Roxanne die Seite um und war kurz überrascht. Da blickte Ralph sie an, in strengem Schwarzweiß. Automatisch überlegte sie, ob er größere Veränderungen plante oder sonst bei etwas Interessantem mitmischte.
Dann – als sie merkte, welche Seite sie vor sich hatte – erstarrte sie.
Ralph Allsopp , lautete die Überschrift des Nachrufs – Verleger, der dem Magazin »Londoner« neues Leben einhauchte.
»Nein«, sagte Roxanne mit einer Stimme, die nicht wie ihre klang. »Nein.« Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie den Text kaum lesen konnte.
Ralph Allsopp, der am Montag verstarb …
»Nein«, flüsterte sie, suchte die Seite verzweifelt nach einer anderen Möglichkeit, nach einer lustigen Pointe ab.
Er hinterlässt eine Frau und drei Kinder .
Der Schmerz traf Roxanne mit voller Wucht. Sie starrte sein Foto an und spürte, dass sie würgen musste. Mit nutzlosen Händen riss sie an ihrem Gurt herum. »Nein«, hörte sie sich sagen. »Ich muss hier raus.«
»Madam, ist alles in Ordnung?« Eine Stewardess tauchte vor ihr auf, mit eisigem Lächeln.
»Halten Sie das Flugzeug an«, sagte Roxanne zu der Stewardess. »Bitte, ich muss hier raus. Ich muss zurück.«
»Madam …«
»Nein! Sie verstehen nicht. Ich muss zurück. Das ist ein Notfall.« Sie schluckte, versuchte, äußerlich die Ruhe zu bewahren. Doch irgendetwas blubberte unkontrolliert in ihr hoch, nahm ihren Körper in Besitz.
»Ich fürchte …«
»Bitte. Lassen Sie die Maschine einfach umkehren!«
»Ich fürchte, das wird nicht gehen«, sagte die Stewardess lächelnd.
»Wagen Sie es ja nicht, mich auszulachen!« Roxannes Stimme wurde zu einem Kreischen.
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