Cocktails fuer drei
»Roxanne?«
»Ich kann nicht«, sagte Roxanne. »Ich kann da nicht rein.«
»Wie meinst du das?«
»Ich kann es nicht.« Roxannes Stimme war ein Flüstern, und ihr Kinn bebte. »Ich kann da nicht sitzen. Bei all den anderen. Bei … ihr.«
»Bei wem?«, sagte Candice. »Bei Heather?«
»Candice«, sagte Roxanne mit zitternder Stimme und riss sich die Sonnenbrille von den Augen. »Will es eigentlich nicht in deinen verdammten Schädel gehen, dass mir deine dumme kleine Freundin scheißegal ist?«
Erschrocken starrte Candice sie an. Roxannes Augen waren blutunterlaufen, mit dunklen Schatten, erfolglos verborgen unter noch dunklerem Make-up.
»Roxanne, was ist denn los?«, fragte sie verzweifelt. »Von wem redest du?« Sie folgte Roxannes Blick und sah, wie Cynthia Allsopp in der Kirche verschwand. »Redest du von ihr ?«, sagte sie und runzelte verständnislos die Stirn. »Du willst nicht bei Ralphs Frau sitzen? Aber ich dachte, du sagtest – du sagtest …« Candice sprach nicht weiter, sah nur in Roxannes abgespanntes Gesicht. »Du bist doch nicht etwa …« Sie stockte. »Nein.«
Sie trat einen Schritt zurück und rieb ihre Wangen, versuchte, ruhig zu atmen, ihre Gedanken zu bremsen, um nicht zu absurden Schlussfolgerungen zu gelangen.
»Du meinst doch nicht …« Sie blickte Roxanne in die Augen, und als sie den Ausdruck darin sah, wollte sich ihr der Magen umdrehen. »Oh, mein Gott.« Sie schluckte. »Ralph.«
»Ja«, sagte Roxanne, ohne sich zu rühren. »Ralph.«
Maggie saß auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer und sah sich an, wie die Frau vom Gesundheitsamt etwas in Lucias kleines Büchlein schrieb. Die anderen waren jetzt sicher alle bei der Beerdigung. Ralphs Beerdigung. Sie konnte es nicht fassen. Es war bestimmt eine der schlimmsten Zeiten in ihrem Leben, dachte sie teilnahmslos, während sie sah, wie die Frau vom Gesundheitsamt sorgfältig Lucias Gewicht in eine Tabelle eintrug. Ralph war tot. Und sie hatte sich mit ihren beiden besten Freundinnen überworfen.
Sie konnte die Erinnerung an diesen Abend in der Manhattan Bar kaum ertragen. Sie hatte sich so große Hoffnungen gemacht – und er hatte ein so schlimmes Ende genommen. Noch immer war sie verletzt, wenn sie an die abfälligen Bemerkungen dachte, die Candice ihr an den Kopf geworfen hatte. Nach der ganzen Mühe, die sie sich gemacht hatte, nach all den Opfern und all den Schuldgefühlen – sich sagen lassen zu müssen, dass sie nicht interessant genug war, um sich mit ihr abzugeben. Dermaßen abgetan zu werden. Völlig erschöpft und unter Tränen war sie an jenem Abend zurück nach Hampshire gefahren. Als sie zu Hause ankam, hatte sie Giles vorgefunden, der eine quengelige Lucia im Arm hielt und offenbar mit seinem Latein am Ende war. Lucia musste dringend gestillt werden. Ihr war, als hätte sie die beiden im Stich gelassen – als hätte sie die ganze Welt im Stich gelassen.
»Und wie war’s?«, hatte Giles gefragt, während Lucia hungrig nuckelte. »Mum meinte, du hättest dich angehört, als würdest du dich gut amüsieren.« Benommen hatte Maggie ihn angestarrt, brachte es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen und zuzugeben, dass der Abend, dem ihre ganze Hoffnung gegolten hatte, eine Katastrophe gewesen war. Also hatte sie gelächelt, »Super!« gesagt und sich in ihren Sessel sinken lassen, dankbar, wieder zu Hause zu sein.
Seitdem war sie nur gelegentlich draußen gewesen. Sie gewöhnte sich daran, mit sich selbst allein zu sein, und ließ tagsüber den Fernseher laufen. An dem Tag, an dem sie von Ralphs Tod erfahren hatte, hatte sie eine Weile weinend in der Küche gesessen, dann hatte sie das Telefon genommen und Roxannes Nummer gewählt. Es ging aber niemand ran. Am nächsten Tag hatte Candice angerufen, und Maggie hatte unwillkürlich um sich getreten, ohne es eigentlich zu wollen, doch sie konnte nicht anders. Sie musste ihr etwas von dem Schmerz zurückzahlen, den sie nach wie vor empfand. Noch immer fühlte sie sich zutiefst gedemütigt, wenn sie an Candice’ Worte dachte. Offensichtlich hielt Candice sie für eine traurige, langweilige Vogelscheuche. Offensichtlich bevorzugte sie Heathers aufregende Gesellschaft. Sie hatte den Hörer aufgeknallt und gespürt, wie eine mächtige Adrenalinwoge sie dabei ergriff. Doch schon im nächsten Moment kamen ihr die Tränen. Arme Lucia, dachte Maggie. Sie lebt unter einem salzigen Wasserfall.
»Feste Nahrung mit vier Monaten«, sagte die Frau vom Gesundheitsamt gerade.
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