Cocoon, Band 01
du«, gesteht er ein. »Du solltest den Schmerz eines unerwarteten Todes jedoch besser als jeder andere verstehen.«
»Unerwarteter Tod« ist eine äußerst politische Ausdrucksweise. »Nein, hast du jemals jemanden verloren, weil er aus dem Gewebe entfernt wurde?«, präzisiere ich.
»Wir verlieren niemanden durch Beseitigung. Wir kontrollieren«, belehrt er mich mit zuckenden Kiefermuskeln. Für meinen Geschmack steht er etwas zu sehr auf dieses Wort. »Und ja, ich ließ sowohl meine Eltern als auch meine Frau entfernen.«
»Deine Frau?«, keuche ich. Cormac Patton: der Junggeselle schlechthin. Die Vorstellung, dass er mit einer einzigen Frau eine Familie gegründet hat, will mir nicht in den Kopf.
»Ich war noch sehr jung, als ich geheiratet habe«, sagt er in beiläufigem Tonfall. »Wie du weißt, erwartet man, dass Bürger mit achtzehn Jahren einen Hausstand gründen. Bei mir gab es da keine Ausnahme.«
Nur, dass er schon immer die Ausnahme war. Der Typ flimmert bei jeder Gildenveranstaltung mit einem neuen Mädchen am Arm über den Stream. Ihn hat mein Vater halb im Scherz stets einen Glückskeks genannt, wenn wir eingeschaltet hatten.
Ich versuche, mir die Frau vorzustellen, die er heiraten würde. In meinem Kopf entsteht eine Kreuzung aus Maela und einer der faden Transfer-Stewardessen. Abgeschmackt und bösartig – die ideale Mischung für Cormac. »Was ist mit ihr passiert?«, frage ich.
»Sie fühlte sich krank, bevor die Erneuerungstechnologie in der Lage war, auch psychologische Gebrechen zu erfassen. Ich beschloss, ihr Leiden nicht zu verlängern.« Seine Stimme bleibt ungerührt, er nennt lediglich Fakten. Doch seine Kiefermuskeln spannen sich an, und die Halsvene tritt hervor. Offenbar redet er nicht gern über diese Sache, was sie sofort zu meinem Wunschgesprächsthema macht.
»Aber sie lag nicht im Sterben«, sage ich mit bebender Lippe.
»Nein«, sagt er. »Aber sie war kein zurechnungsfähiges Mitglied von Arras mehr, und ihr Zustand verhinderte, dass ich mich ganz der Gilde widmen konnte.«
Ich wende den Kopf ab, weil ich fürchte, dass mein Blick meine brennende Abscheu preisgibt. Er hat sie beseitigt, damit er politisch aufsteigen konnte und in den Genuss eines Junggesellendaseins als Witwer gelangte. »Dann pflegst du wohl deshalb oberflächliche Beziehungen zu so vielen Frauen«, sage ich eisig.
»Das ist es ja, Adelice. Es ist an der Zeit, in Arras wieder die Einheit der Familie zu propagieren«, sagt er und setzt sein Politikerlächeln auf.
»Mir war gar nicht aufgefallen, dass sie nicht mehr propagiert wurde«, sage ich und denke dabei an die Heiratsprofile aus dem täglichen Bulletin. Unter anderen Umständen würde ich mich jetzt mit Bewerbern treffen und nach einem passenden Ehepartner suchen. Entsetzen erfasst mich, als ich mir ein Leben vorstelle, das ich niemals haben werde.
Mein Gestichel verleitet ihn zu nur noch mehr rhetorischem Gewäsch: »Unsere Gesetze helfen uns, die Familie zu bewahren, doch es tauchen immer mehr unnatürliche Bedrohungen für die bewährte Familiendynamik auf.«
Zum Beispiel Enora.
»Wir unterdrücken diese gefährlichen Neigungen so gut es geht, aber dennoch haben sich einige abgelehnte Frauen geweigert, gemäß ihrer Altersregelungen zu heiraten. Im östlichen Sektor breitet sich dieser Trend aus, und inzwischen geben manche jungen Männer gar keine Heiratsprofile mehr auf«, erzählt er.
»Und das lasst ihr zu?«, sage ich, ohne mein Erstaunen zu verbergen. »Wo die Gilde doch derart überzeugende Methoden zur Verfügung hat?« Ist das der Schandfleck, von dem er schon einmal gesprochen hat? Oder nur ein Zeichen der gewachsenen Unzufriedenheit?
»Offen gesagt, bin ich nach Enoras letztem Kunststück etwas besorgt, was die Sicherheit unserer derzeitigen Methoden angeht. Womöglich hat die Behandlung sie beschädigt. Die Überreste ihres Fadens haben kaum noch zusammengehalten, als wir sie aus dem Gewebe entfernt haben. Dich mag es überraschen, wenn ich dir sage, dass wir nicht vorhaben, die gesamte weibliche Bevölkerung zu überschreiben.«
»Aber du würdest es gern«, werfe ich ihm vor, da mir die Wut hochkocht.
»Selbstverständlich gibt es nichts, was ich für Arras’ Wohl nicht tun würde«, sagt er und senkt den Blick, um meinen zu erwidern. »Eines Tages wirst du das verstehen. Im Moment kannst du noch nicht über den Tellerrand deiner eigenen Angelegenheiten schauen. Wenn Mädchen nicht mehr heiraten, wenn sie, Arras bewahre
Weitere Kostenlose Bücher