Codename Azteke
weit vom Escorial-Palast, in dem die spanischen Könige lagen. Seit die Demokratie wieder Einzug gehalten hatte, stand das Tal allen Kriegshelden offen. Heute wurde ein früherer Kämpfer der Republikaner mit allen Ehren beigesetzt.
»In diesem unserem Land sind schon seltsamere Dinge geschehen, Capitán.«
»Ja.« Pinto beschloss, nicht um den heißen Brei herumzureden. »Ich frage mich, ob wir uns vielleicht irgendwann einmal unterhalten könnten?«
Mercer zog die Augenbrauen hoch.
»Über eines dieser seltsamen Dinge«, fügte Pinto hinzu.
Es war Mercer, der der Meinung war, dass jetzt der beste Zeitpunkt war. »In meinem Alter könnte ›irgendwann‹ vielleicht nie bedeuten«, scherzte er.
Sobald die Lobreden zu Ende waren, waren die beiden Männer hinausgegangen. Sie stellten die Mantelkrägen auf und liefen auf dem Vorplatz der Basilika entlang, die über
das Jarama-Tal hinweg einen Blick nach Madrid bot. Mercer nahm eine Zigarrenschachtel aus der Tasche und bot Pinto eine Montechristo an.
»Es hat etwas mit Gold zu tun«, erklärte Pinto und kam, an seiner Zigarre paffend, sogleich zur Sache.
»Diese alte Kiste schon wieder«, amüsierte sich Mercer.
»Nun, nicht ganz«, erklärte Pinto. »Sehen Sie, General, ich bin Sammler.«
Mercer blieb stehen und sah Pinto forschend ins Gesicht.
»Ein bedeutender Sammler, wenn ich so sagen darf«, fuhr Pinto fort. »Wenn man die Museen nicht zählt, würde ich sagen, dass ich weltweit über die beste Sammlung von ibero-amerikanischen Münzen aus dem siebzehnten Jahrhundert verfüge.«
»Tatsächlich? Und wie kann ich Ihnen dabei behilflich sein?«
»Fehlende Münzen, General. Ich habe mir die Aufzeichnungen angesehen. Nirgendwo wurden alte Münzen verzeichnet. Nicht in Moskau und auch nicht in Madrid. Wo sind sie hingekommen?«
»Sie glauben also, das berühmte fehlende Gold bestand aus alten Münzen?« Mercer klang, als halte er diese Vermutung für absurd.
»Besteht diese Möglichkeit denn nicht?«
Mercer sog an seiner eigenen Zigarre und ging weiter. »Capitán Pinto, lassen Sie mich Ihnen ein paar Dinge klarmachen.« Er hakte sich bei Pinto ein.
Der Capitán wusste nicht, ob er Halt suchte oder seine Aussage persönlicher klingen lassen wollte.
»Zunächst einmal gibt es kein fehlendes Gold. Das ist ein Märchen. Wir kämpften in einem Krieg und brauchten
jeden letzten Duro für Waffen. Es haben schon viele darüber spekuliert, doch nie hat jemand irgendwelches Gold gefunden. Wenn es existieren würde, glauben Sie denn, dass es über ein halbes Jahrhundert lang versteckt geblieben wäre …? Und außerdem …«, fuhr Mercer fort, bevor Pinto etwas sagen konnte. »Ich war nicht dort. Ich war in Madrid. Der Zug verließ Atocha, und damit war das Gold weg. Alexander Orlow hatte die Verantwortung.« Mercer spuckte den Namen förmlich aus. » Er hätte vermutlich etwas gestohlen. Er war ein amerikanischer Geheimagent, wissen Sie?«
Pinto sagte, das hätte er nicht gewusst. Er hielt es auch für unwahrscheinlich. Orlow war gelegentlich mit amerikanischen Papieren gereist. Er hatte echte und falsche. In den Zwanzigerjahren hatte er in den USA gelebt – auf Stalins Befehl.
Während des Abtransports des Goldes war Orlow Mr William Golding von der Bank of America gewesen. Aber das war lediglich ein Deckname. Nur die Kommunisten wussten, dass das Gold nach Moskau gehen sollte. Hätten ihre Verbündeten in der Republik – Anarchisten, Sozialisten, Separatisten und Syndikalisten – vom Bestimmungsort des Goldes Wind bekommen, hätten sie dafür gesorgt, dass es das Land nicht verließ.
»Wenn es alte Münzen gegeben hätte«, fuhr Mercer fort, »dann hätten die Claveros und die Finanzkommissare sie aussortiert, um ihren wahren Wert zu schätzen.«
» Könnte Orlow einen Teil der Ladung gestohlen haben?«, hakte Pinto nach.
»Sie glauben tatsächlich an den Unsinn mit den verschwundenen Kisten, nicht wahr?«, fragte Mercer herausfordernd.
Pinto wedelte nichtssagend mit der Hand.
»Orlow«, sagte Mercer langsam, »hatte keine Gelegenheit, alte Münzen auszusortieren. Nicht so, wie sie verpackt waren. Er hätte die ganze Kiste nehmen müssen. Nun, Capitán Pinto, ich sehe das so: Wenn es alte Münzen gegeben hat und diese aussortiert wurden, dann ist das in Moskau geschehen. Diese Münzen wären dann verkauft worden und hätten ihren Weg in verschiedene Sammlungen gefunden.«
Wieder blieb Mercer stehen, immer noch Pintos Arm haltend, und bedeutete ihm,
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