Codename Sparta 04 - Das Medusa-Abenteuer
dem Fluß. Mit dem rechten Auge vergrößerte sie das Bild teleskopisch, bis sie die Flammen aus aufgeschichteten Holzscheiten und darauf die verkohlte Gestalt sehen konnte.
»Das meiste Holz wird schon seit Jahrzehnten aus Sibirien eingeführt«, sagte die Frau. »Der Wald im Himalaya erholt sich nur langsam.«
Spartas teleskopischer Blick wanderte zu einem weiteren Ghat. Dort war man damit beschäftigt, die teilweise verbrannten Überreste eines Leichnams in helles Tuch zu wickeln. Das Bündel glich denen, die bereits im Fluß trieben.
»Sie halten das möglicherweise für einen ungewöhnlichen Ort für ein biologisches Forschungszentrum«, sagte die Sekretärin freundlich. »Ausgerechnet in der heiligsten Stadt Indiens.«
Sparta drehte sich zu ihr um. »Was denken Sie? Finden Sie es ungewöhnlich?«
»Viele unserer Besucher denken so.« Die Frau wich der Frage geschickt aus. »Besonders, wenn sie erfahren, daß einige unserer hervorragendsten Forscher auf dem Gebiet der Mikrobenbiologie gleichzeitig davon überzeugt sind, daß ein Schluck aus den heiligen Gewässern des Ganges den Körper reinigt und die Seele entlastet.« Die Komverbindung summte, und ohne abzunehmen formte die Sekretärin ihre roten Lippen zu einem Lächeln. »Dr. Singh erwartet Sie.«
Die Frau, die sich vom Schreibtisch erhob, hätte die Schwester der Sekretärin sein können. Sie hatte anmutige rote Lippen, große braune Augen und trug ihr glattes, schwarzglänzendes Haar im Nacken zu einem festen Knoten gebunden. »Ich bin Holly Singh, Inspektor Troy. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Ihr Akzent war reinstes Oxbridge ohne jede Andeutung indischen Tonfalls, und sie trug ein typisches Polokostüm aus Seidenbluse, Reithosen und gewienerten Reitstiefeln.
»Sehr freundlich von Ihnen, daß Sie so schnell etwas Zeit für mich freimachen konnten.« Sparta schüttelte ihr fest die Hand und studierte Singh in diesem kurzen Augenblick auf eine Art, die sie nicht angenehm gefunden hätte, hätte sie davon gewußt. Sie richtete ihr rechtes Auge auf die Netzhaut von Singhs linkem, bis sie am Muster der braunen Kreise erkannte, daß Singh diejenige war, die sie nach den Unterlagen in der Erdzentrale hätte sein müssen. Sparta analysierte den Duft von Singhs Parfüm, Seife und Schweiß und entdeckte Spuren von Blumen, Moschus und Tee, sowie einen chemischen Komplex, der typisch für einen gesunden, ausgeruhten Körper war. Sparta lauschte dem Klang von Singhs Stimme und registrierte eine Mischung aus Vertrauen, Neugier und Selbstkontrolle.
»Sie wollen mir Fragen über PAKS stellen, Inspektor? Zu Dingen, über die nichts in den Aufzeichnungen zu finden ist?«
»Hinweise gibt es dort schon, Doktor.«
Singh machte ein bedrücktes Gesicht. »Die Ausdrucksweise in diesen Berichten ist vermutlich sehr trocken. Hätte man mir ein paar Minuten früher Bescheid gegeben, hätte ich Ihnen vielleicht eine Reise um die halbe Welt ersparen können.«
»Ich reise gerne.«
»Das habe ich auch schon gehört«, sagte sie mit der Andeutung eines Lächelns.
Sparta hatte sie inzwischen weiter untersucht. Auf den ersten Blick schien Holly Singh kaum mehr als dreißig Jahre alt zu sein. Ihr Gesicht war jedoch so glatt und regelmäßig, daß es sich nur um eine Rekonstruktion handeln konnte. In ihren Akten stand davon allerdings nichts, also war es eine Tarnung. Auch ihr Körpergeruch diente zur Tarnung. Es war eine Mischung aus Säuren und Ölen, die genau darauf abzielte, den Geruch einer entspannten dreißigjährigen Frau zu imitieren.
Sparta spielte kurz mit dem Gedanken, daß Singh vielleicht gar nicht menschlich war, sondern ein Androide. Aber wer würde sich die Mühe machen und eine Maschine konstruieren, die wie ein Mensch aussah, wenn er im Grunde einen Menschen mit der Leistungsfähigkeit einer Maschine brauchte?
Nein, Singh war ein Mensch, und zwar einer, der anders wirken wollte, als er war, und wußte, daß dazu die Körpersprache ebenso wichtig war wie alles andere. Das verrieten ihre gut trainierte Stimme und der beißende Adrenalingeruch, der unter ihrem maßgeschneiderten Körpergeruch lag. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
»Bitte setzen Sie sich. Hat Ihnen meine Assistentin eine Erfrischung angeboten?«
»Ja, danke, aber im Augenblick möchte ich nichts.« Das weiße Bonbon lag ihr immer noch wie eine bittersüße Erinnerung auf der Zunge.
Sparta setzte sich in einen der bequemen Sessel gegenüber Singhs Schreibtisch und zupfte
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