Codex Mosel
Wilhelmsen aus Norwegen.« Jo schenkte Walde ein. »Und das ist eine wunderbare Trockenbeerenauslese.«
»Hanne.« Sie hielt ihm die Hand hin.
»Walde.«
Aus der Nähe sah die Frau noch besser aus.
»Du hast einiges verpasst. Danach gibt’s nur noch, was sage ich nur noch, Quatsch, das ist natürlich der Höhepunkt des Abends, einen wunderbaren Eiswein. Ich benutze dieses Wort wirklich nur sparsam, aber dieser Wein ist wirklich legendär.« Jo hatte an seiner Toga die Verschnürung gelöst, was einen Blick auf seine breite haarige Brust freigab. »Aber die acht Weine vorher und das Essen hast du verpasst.«
»Ich habe bereits etwas gegessen.« Walde nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas, um nicht mehr an die Kartoffeln erinnert zu werden. Jo schenkte nach.
Walde nahm ein halbes Baguette, brach ein großes Stück davon ab und stopfte es in den Mund.
»Du willst doch nicht etwa eine Todsünde begehen und mit solch einer Kredenz ein Brot hinunterspülen wollen?«
Walde ließ das Glas stehen und versuchte, mit dem Bissen fertig zu werden.
Jo sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich hab nichts dazu gesagt, dass du dich an Hanne heranmachst. Aber solch ein Sakrileg kann ich bei aller Freundschaft nicht dulden.«
Walde zog laut Luft in die Nase. »Und seit wann wird auf Weinproben geraucht? Das beeinträchtigt doch deiner Ansicht nach die Geschmacksnerven?«
Jo zuckte mit den Schultern und prostete dem Präsidenten zu.
»Haben Sie den Mann mit der Mönchskutte gefangen?«, fragte Hanne.
»Woher wissen Sie von dem Fall?« Walde war verblüfft.
»Man redet auf dem Treffen von nichts anderem, alle fiebern mit.«
Sie sah ihn an. Ihre hohe glatte Stirn glänzte ein wenig unter dem Seitenscheitel ihres schulterlang fallenden, blonden Haars. »Oder dürfen Sie nichts erzählen?«
Die braunen Augen, unter denen sich dunkle Ringe zeigten, die eigentlich nicht zu ihrem Alter passten und auf erheblichen Stress deuteten, hielten seinem Blick stand.
»Nein, das nicht, ich möchte Sie nicht langweilen. Wir haben heute eine Menge Puzzleteile zusammengetragen, aber noch wissen wir nicht, wie sie zusammenpassen.«
»Vielleicht kann ich Ihnen dabei helfen?« Ihre Nase hatte eine klassische Form, die Walde an einen Stummfilmstar erinnerte. Er schielte auf ihr Namensschild, weil ihm ihr Name entfallen war. Er musste sich zurückhalten, ihr nichts über den Fall zu berichten. Der Wein zeigte bereits seine Wirkung.
»So, darf ich zum letzten Mal um Ihre Aufmerksamkeit bitten?« Jo erhob seine Stimme. Die Gespräche verstummten nach und nach. »Trinken Sie bitte Ihr Glas aus. Wir kommen jetzt zum absoluten Höhepunkt des Abends. Sie brauchen nichts vom Rebensaft zu verstehen, dieser Wein erzählt Ihrem Gaumen alles, was in ihm steckt.«
Jo wartete, bis die grün beschürzten Helferinnen allen am Tisch eingeschenkt hatten.
»Das ist ein Eiswein, der für mich die Krönung der Schätze aus dem Weinberg darstellt. Aber hier haben wir noch obendrein eine der besten Lagen der Welt, einen 99er Kaseler Nieschen, auf dem Weingut Reichsgraf von Kesselstatt bei 14 Grad Minus am Morgen des zweiten Weihnachtstages zwischen vier und fünf Uhr dreißig gelesen. Dicht, brillant und elegant zugleich mit stolzen 172 Öchsle.«
»Heißt das wirklich auch im Englischen Öchsle?«, fragte Gabi.
»Wurde bei den Motowns kein Wein getrunken?«, entgegnete Walde.
»Öchsle heißt der Erfinder der Mostwaage«, half Siggi aus. »Ich glaube, sein Vorname war Ferdinand. Die Engländer haben bei ihren zahlreichen Importen auch diesen Begriff übernommen. So wie Kindergarten, Autobahn und Sauerkraut … Walzer, Rucksack, Wunderkind und bei den Franzosen ,le Waldsterben’.« Er legte die Pfeife in den Aschenbecher und schlürfte genüsslich sein Mineralwasser, als habe er ebenfalls eine Rarität vor sich.
»Alles Weitere werden Sie von Ihrem Gaumen erfahren.« Jo nahm einen kleinen Schluck, schloss die Augen, spitzte die Lippen und ließ ein leises Gurgeln hören.
»Was haben Sie da im Glas?«, fragte Gabi.
»Ein ausgezeichnetes Wässerchen, in Tausenden von Jahren in den Tiefen der Vulkaneifel herangereift.« Siggi Baumeister schnalzte mit der Zunge.
»Wir sollten mal Ihre Fähigkeiten in einer Blindverkostung testen.«
»Bei Wasser kann man mir nichts vormachen … und bei Pfeifentabak.« Siggi zog eine zweite Pfeife aus der Tasche.
»Dieser Wein ist dazu gemacht, glücklich zu werden«, Jo hielt sein Glas gegen das Licht und betrachtete die
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