Coe, David B. - Die Chroniken von Amarid 01 - Der Fluch des Magiers
Mal in seinem Leben versuchte, an gar nichts zu denken, bemerkte Jaryd einen endlosen Strom unbeherrschbarer Gedanken: Was wohl Royden und seine Eltern jetzt gerade machten? An welche Art von Falke würde er sich wohl binden? Wie würde die Versammlung sein? Wie würde es sein, quer durch das Land zu ziehen? Jedes Geräusch - jedes Knistern im Feuer, jeder Ruf einer weit entfernten Eule - schien zu ihm durchzudringen, an seinem Geist zu zupfen.
Schließlich öffnete er die Augen wieder und starrte seinen Onkel an. »Ich kann es nicht«, gab er kopfschüttelnd zu. Baden grinste. »Du wirst es schon schaffen. Aber es braucht Zeit, und du hattest einen schweren Tag. Du solltest versuchen zu schlafen; wir haben noch viel Zeit, an dieser Übung zu arbeiten.«
Wieder nickte Jaryd, und als sich Baden neben das Feuer legte, zog Jaryd seinen Schlafsack heraus und legte sich ebenfalls auf den weichen Boden.
»Schlaf gut, Jaryd«, sagte Baden.
»Danke, Baden. Du auch.«
Aber Jaryd lag noch lange wach, während die Fragen und Gedanken weiter durch seinen Kopf zogen, so beständig wie der Fluss, der an ihrem Lager vorbeiströmte.
Die nächsten Tage waren dem ersten ganz ähnlich. Badens Lektionen führten sie weiter den Weg entlang, und Jaryd verbrachte am Abend immer ein wenig Zeit damit zu lernen, seinen Geist zu disziplinieren, wie Baden es ihn gelehrt hatte. Manchmal, wenn sie eine Rast einlegten, oder am Abend beim Essen, erzählten sie einander Geschichten über ihre Verwandten. Baden erzählte Jaryd, wie es gewesen war, mit Bernel aufzuwachsen, oder von Jaryds Großeltern, und Jaryd erzählte von seinem Leben mit Bernel, Drina und Royden. Und manchmal, wenn das Feuer schon niedergebrannt war, begann Baden mit seiner tiefen, angenehmen Stimme die alten Balladen zu singen und drängte Jaryd mitzumachen. Häufig sangen sie von den Göttern, denn dies schienen die Lieder zu sein, die Baden am liebsten mochte. Ihre Stimmen erhoben sich, um zu berichten, wie Arick, der mächtigste der alten Götter, seinen Söhnen Lon und Tobyn ein großes Stück Land schenkte, aus dem die jüngeren Götter Leben formen sollten, wie es ihnen gefiel. Sie sangen von Leora, der Göttin des Lichts, in deren Wald sie sich befanden und deren Schönheit und Launenhaftigkeit die bittere Rivalität entfachte, die die beiden Brüder einander schon bald entfremdete. Und sie sangen, wie diese Fehde zwischen Tobyn und Lon Arick dazu trieb, in seinem Zorn und seiner Enttäuschung die Welt, die er seinen Söhnen gegeben hatte, zu zerteilen, und wie das wiederum Duclea, ihre Mutter, so gequält hatte, dass ihre Tränen die Meere und Flüsse anschwellen ließen, die ihre Söhne in ihren nunmehr getrennten Ländern geschaffen hatten.
Am achten Tag nach ihrem Abschied aus Accalia, als sich der Weg nun steil von Leoras Wald in die Seeberge erhob, änderte sich das Wetter. Der letzte Frühlingsregen kam über Aricks Meer gezogen und wurde über die Berge hinweg zur Nordebene geblasen. Ihm folgten ein leuchtend blauer Himmel und eine warme Frühlingssonne, die den immer noch feuchten Wald zum Dampfen brachte. Aber wenn auch der Frühling bereits zum Wald der Göttin kam und aus den Zweigen ihrer Bäume Blüten und Blätter lockte, so führe ihr Weg Baden und Jaryd doch in die kalten Berge hinauf, in den frischen Schnee, den die gerade erst zurückweichenden Wolken dort zurückgelassen hatten. Als die Luft dünner wurde, wurde ihre Reise schwieriger und der Boden unter ihren Füßen immer unebener, was ihr Vorankommen beträchtlich verlangsamte. Trotz des Sonnenscheins schnitt der kalte Bergwind durch Jaryds Kleidung. Seine neue Jacke half, aber nur ein wenig, und er bemerkte, dass er es vermied, Rast einzulegen, um in Bewegung und damit warm bleiben zu können. Abends kauerte er sich ans Feuer, zog seine Sachen fest um sich und wickelte sich sogar in das Stück Zelttuch. Gleichzeitig verfluchte er Baden innerlich, der seinen Umhang fest geschlossen und die Kapuze aufgesetzt hatte, sich ansonsten aber offenbar an der Kälte nicht störte.
Der Mühsal zum Trotz war Jaryd von Ehrfurcht erfüllt angesichts der schieren Gewaltigkeit und unglaublichen Schönheit der Berge. An Tagen, an denen ihr Weg sie über die Baumgrenze hinausbrachte, starrte Jaryd staunend wie ein Kind die scheinbar unendlichen Reihen felsiger Gipfel an, die in Eis und Schnee gehüllt waren und in allen Richtungen bis zum Horizont reichten. Wenn sie in eines der üppig grünen Täler
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