Coe, Jonathan
das sich
frohgemut von der Macht der großen Konzerne in die Pfanne hauen ließ.«
Mumtaz verdrehte die Augen und
seufzte theatralisch. »Ach ja, natürlich. Jetzt verstehe ich. Geben Sie gut
acht, Maxwell«, sagte er und streckte warnend den Zeigefinger in die Höhe,
»jetzt erleben Sie eine Frau, die sich auf ihr Steckenpferd schwingt, und wenn
sie mal oben ist, bekommt sie so leicht keiner wieder herunter. Wir werden den
Rest des Vormittags und den größten Teil des Nachmittags hier sitzen.«
»Das ist kein Steckenpferd«,
protestierte Miss Erith, »und ich schwinge mich auch nicht drauf. Ich sage nur,
wenn ihr dieses Buch lesen würdet, dann würdet ihr ein bisschen besser
verstehen, was in diesem Land los ist, und wie lange das schon so geht. Was die
großen Unternehmen mit uns machen. Und das ist keine neue Entwicklung: Es
passiert seit Jahren - seit Jahrhunderten. Alles, was einem Gemeinwesen seine
Identität gibt - heimatliche Geschäfte und Gaststätten -, verschwindet und wird
ersetzt durch diese nichtssagenden, seelenlosen, von Konzernen -«
»Eigentlich will sie nur
sagen«, erklärte mir Mumtaz mit müdem Lächeln, »dass wir eben versucht haben,
uns ein nahe gelegenes Pub einfallen zu lassen, wo wir zu Mittag essen können,
und dass ihr kein einziges davon mehr zusagt.«
»Tut es auch nicht«, sagte
Miss Erith. »Und weißt du auch, warum? Weil eins wie das andere ist! Alle sind
sie von einer der großen Ketten übernommen worden, überall gibt es dieselbe
Musik, dasselbe Bier, dasselbe Essen ...«
» ... und alle sind gerammelt
voll mit jungen Leuten«, sagte Mumtaz. »Junge Leute wollen sich amüsieren - und
das ärgert dich! Dass es jungen Leuten gut gefällt.«
»Es gefällt ihnen, weil sie
nichts anderes kennen!« Miss Eriths Stimme klang auf einmal lauter, zorniger.
Der gutmütig-neckische Ton der Diskussion war schlagartig gekippt. »Mumtaz
weiß sehr genau, wie ich es meine.« Sie wandte sich jetzt direkt an mich, und
ich sah mit Verwunderung, dass sie Tränen in den Augen hatte. »Ich will damit
sagen, dass es das England, das ich geliebt habe, nicht mehr gibt.«
Das anschließende Schweigen
ließ diesen Satz eine Weile im Raum stehen.
Miss Erith beugte sich vor,
trank ihre Tasse leer und starrte vor sich hin, ohne noch ein Wort zu sagen.
Ich senkte den Blick auf den
blauen Ordner meines Vaters. Vielleicht war es ein guter Moment, mich zu
verabschieden und zu gehen.
Mumtaz seufzte und kratzte
sich am Kopf. Er fand als Erster seine Sprache wieder.
»Du hast ja gar nicht mal
unrecht, Margaret. Allein in der Zeit, seit ich hier bin, hat sich vieles
verändert. Es ist ein anderes Land geworden. In mancher Hinsicht ein besseres,
in anderer ein schlechteres.«
»Besser!«, wiederholte sie
verächtlich.
»Sei's drum«, sagte er und
erhob sich, »ich denke, wir sollten es noch mal mit dem Plow & Harrow
versuchen. Es ist ein netter Ausflug aufs Land, die Musikberieselung ist
dezent, und das Essen ist gut.« An mich gewandt, fügte er freundlich hinzu:
»Warum kommen Sie nicht mit, Maxwell? Wir würden uns sehr freuen.«
Ich erhob mich ebenfalls. »Das
ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte ich. »Aber ich sollte mich langsam auf
den Weg machen. Ich habe noch eine lange Fahrt vor mir.«
»Sie fahren rauf nach
Schottland, sagten Sie?«
»Ja. In etwa so weit, wie es
überhaupt möglich ist - auf die Shetlandinseln.«
»Wunderbar. Ein richtiges
Abenteuer. Und darf ich fragen, was Sie dorthin führt? Geschäft oder
Vergnügen?«
Die simpelste Antwort schien
mir der Griff in die Innentasche meines Jacketts zu sein, wo seit gestern noch
eine der Musterzahnbürsten steckte. Die beiden IP 009 hatte ich Mr und Mrs Byrne
geschenkt - alle anderen lagen unten im Prius -, also überreichte ich Mumtaz
das schöne, schlichte, elegante Modell, das Trevor mir als Erstes gezeigt hatte
- die ID003, aus umweltfreundlichem Fichtenholz hergestellt, mit
Wildschweinborsten, ohne Wechselkopf.
»Ich vertrete eine Firma, die
die Dinger vermarktet und vertreibt«, erklärte ich ihm und wunderte mich
selber, mit wie viel Stolz ich das sagte.
Mumtaz nahm mir die Bürste aus
der Hand und pfiff anerkennend durch die Zähne.
»Wow«, sagte er und strich mit
dem Finger am Stiel entlang, »das ist ja ein Prachtstück. Ein richtiges Prachtstück. Mit so einer
macht das Zähneputzen richtig Spaß und ist keine lästige Pflicht mehr. Und die
wollen Sie auf den Shetlands verkaufen?«
»Das ist mein Job.«
»Na«, sagte
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