Colin Cotterill
eigentlich nur eine plausible Erklärung, aber die ist so furchtbar, dass ich sie mir lieber gar nicht ausmalen möchte. Tran ist nicht zur selben Zeit gestorben wie seine Landsleute. Er war ein wenig fetter als die beiden anderen. Darum nehme ich an, sie haben seine Arterie verfehlt, als sie ihm die Luft spritzen wol ten.«
»Dann war er also noch am Leben, als sie die Leichen mit Stromschlägen traktierten?«
»Ich hoffe inständig, dass er tatsächlich bewusstlos war und sich nicht nur tot stel te. Aber anscheinend hat ihn nicht einmal die Folter umbringen können.
Als er eingeliefert wurde, war sein Gesicht zu einer Maske des Grauens erstarrt. Und für diesen Gesichtsausdruck gibt es nur eine Erklärung.«
»Den Sturz aus dem Hubschrauber.«
»Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass er noch am Leben war, als er hinausgestoßen wurde.«
»Ich kann mir keinen schrecklicheren Tod vor stel en«, sagte Dong Van.
»Ich bezweifle, dass Absicht dahintersteckte. Ich glaube nicht, dass es den Amerikanern um größtmögliche Grausamkeit ging. Denn wenn sie es echt hätten aussehen lassen wol en, hätten sie die drei auch gleich zu Tode foltern können.«
Der Chef der Staatssicherheit seufzte. »Wir müssen sie aufspüren. Die Vorstel ung, dass eine Bande von Söldnern unser Land unsicher macht, gefäl t mir nicht. Aber eins nach dem anderen. Ich muss diesen verdammten Verräter fassen. Sie haben mich überzeugt, meine Herren. Wer weiß, wie viele Menschenleben dieses Schwein auf dem Gewissen hat. Wenn Sie mich entschuldigen möchten, ich habe eine sehr schmerzliche Pflicht zu erfül en.«
Sie tauschten einen herzlichen Händedruck, und er ging und nahm die Wache mit. Die beiden alten Freunde blieben schweigend zurück. Civilai kratzte sich erschöpft am Kopf. Siri schnüffelte Sauerstoff. Eine Weile sprach keiner von beiden ein Wort. Dann verwandelte ihr Lächeln sich langsam in Gelächter.
Civilai trat ans Bett und nahm Siris rechte Hand. Einer drückte des anderen Faust so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden, und sie lachten, als ob soeben etwas Urkomisches geschehen wäre.
»Warum lachen wir eigentlich?«, fragte Siri unter Tränen.
»Das sind die Nerven. In Wahrheit haben wir eine Heidenangst.«
»Wenn dir das Angst macht, dann wart mal ab, bis ich dir von dem anderen Fal erzähle.«
21
DER ANDERE FALL
Khen Nahlee hatte noch nie so schmählich versagt. Die Demütigung bereitete ihm körperliche Schmerzen. Rache passte eigentlich nicht in sein Berufsbild, doch nichts wünschte er sich sehnlicher.
Den ersten Fehlschlag hielt er für verzeihlich. Es war dunkel gewesen, Siri nur ein Schatten vor der Haustür. Er hätte nachsehen sol en, aber die Frau im Parterre stand immer hinter ihrem Vorhang. Erst tags darauf hatte er erfahren, dass der Doktor noch am Leben war.
Aber da hatte Siri die Hauptstadt schon verlassen. Und so musste er sich etwas anderes überlegen. Er hatte eine Affäre mit dem Mädchen aus dem Frisiersalon. Nichts Ernstes. Er streute das Gerücht, sie sei die Zweitfrau des Genossen Kham. Es machte in Vientiane so schnel die Runde, dass es im Handumdrehen wieder bei ihm ankam. Mai konnte den Genossen zwar nicht von einer Schüssel Nudeln unterscheiden, aber das spielte keine Rol e. Es gab genug alte Männer, die hinter ihrem Rock her waren. Insofern würde sich niemand wundern.
Die Selbstmordtechnik, für die er sich schließlich entschied, kannte er aus eigener Anschauung. Vor ein paar Jahren hatte die Frau eines seiner Opfer sich die Pulsadern aufgeschnitten und die Handgelenke in kochend heißes Wasser getaucht. In ihrer Dramatik war diese Methode für eine abgelegte Geliebte geradezu ideal. Er präparierte den Tatort genau so, wie er ihn in Erinnerung hatte. Bis ins Detail. Die Polizei sicherte Spuren, machte Fotos, stel te Fragen. Als die Beamten Mais Abschiedsbrief fanden, stand fest, dass sie erst die Frau ihres Geliebten und dann sich selbst getötet hatte.
Es war rundum perfekt. Niemand hatte auch nur den geringsten Zweifel, bis er auf der Bildfläche erschien: der Detektiv im Rentenalter. Der Greis, der keine Ruhe gab. Und in al es seine Nase stecken musste. Er zerriss den Schleier der Täuschung und legte die Wahrheit bloß. Stolz wie ein Pfau hatte er am Flussufer gesessen und sich mit seinen Heldentaten gebrüstet.
Nie hatte Khen Nahlee einen Menschen so sehr gehasst, wie er Siri an jenem Abend gehasst hatte. Es war mehr als nur ein simpler Auftrag. Es war eine Sache
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