Colin Cotterill
schon, Sie wären an Altersschwäche gestorben.«
Es war nach drei, und Siri war über fünf Stunden fort gewesen. Ein Unteroffizier
der Armee hatte sich
nach
ihm erkundigt.
Der
Sicherheitsbeauftragte des Nam-Ngum-Staudamms hatte sich nach ihm erkundigt, und auch Richter Heaeng hatte angerufen und sich nach ihm erkundigt. Aber niemand wusste, wo er war. Seine Mitarbeiter waren sich einig, dass er bis zum Hals in der Scheiße steckte.
Doch da stand Siri lächelnd in der Tür, mit einem frechen, irgendwie jugendlichen Zug um den Mund. Er kam herein und ging zu seinem Schreibtisch, als wäre al es in bester Ordnung.
Dabei war das Gegenteil der Fal .
»Irgendwelche Kundschaft heute, Herr Geung?«
Geung suchte nach Standardantwort Nummer zwei. »Wir haben einen Gast in Raum eins.«
Damit hatte Siri nicht gerechnet. Er wol te seine Ruhe. Er wol te nach Hause.
Er hatte so schon genug um die Ohren, da konnte er auf eine neue Leiche gut verzichten.
Dtui kam an seinen Schreibtisch getänzelt; das Grinsen in ihrem zerfurchten Gesicht war noch breiter als sonst. »Ich brauche Ihnen wahrscheinlich nicht extra zu sagen, wie sauer Richter Haeng war, als er spitzkriegte, dass Sie während der Dienstzeit unterwegs sind. Als Ihre loyale Assistentin und Ihr offiziel er Lehrling wol te ich eigentlich lügen und ihm sagen, Sie wären nur kurz weg. Aber leider hatte er schon von verschiedenen Seiten gehört, dass Sie den halben Tag außer Haus waren.«
Das schien Siri nicht weiter zu stören. Er lächelte nach wie vor. »Was wol te er denn?«
»Er würde es begrüßen, wenn Sie ihn noch vor Einbruch der Dunkelheit zurückrufen könnten, da er Ihnen zu Ihrem neuen Gast gern ein paar Fragen stel en würde.«
»Es ist doch wohl nicht schon wieder ein prominenter Mitbürger.«
»Niemand weiß, wer er ist. Dafür interessieren sich eine Menge Leute für ihn.
Und al e wol en sie wissen, woran er gestorben ist.«
»Herr Geung.« Als Siri ihn ansah, hörte Geung schlagartig auf, sich hin und her zu wiegen. »Haben Sie die Leiche gesehen?«
»Ja, Dr. Genosse.«
»Woran ist er gestorben?«
»Er ist ertrunken.«
»Ausgezeichnet. Na bitte, Dtui, da haben Sie Ihre Diagnose. Fal s Richter Hängebacke nochmal anruft, sagen Sie ihm, ich melde mich morgen früh.«
Er wühlte hektisch in den Papieren auf seinem Schreibtisch, als würde er etwas Wichtiges vermissen. Dtui und Geung sahen sich fragend an.
»Habt ihr hier in den letzten Tagen irgendetwas weggenommen?«
Geung schüttelte nachdrücklich den Kopf. Dtui machte ein entrüstetes Gesicht.
»Ich käme nicht im Traum darauf, Ihren Schreibtisch auch nur anzurühren.«
»Und wo ist dann…?« Er dachte zurück an den Tag von Frau Nitnoys Obduktion. Er hatte bis spät in die Nacht an seinem Bericht gesessen, als…
Genau, an dem Abend, als Genosse Kham an Siris Schreibtisch gesessen und ihm von weiteren Untersuchungen abgeraten hatten, war der Bericht noch da gewesen. Das Schwein hatte ihn gestohlen.
»Wie ein gemeiner Dieb.«
»Wer?« Dtui glaubte ihre Ehre verteidigen zu müssen.
»Ihr doch nicht. Nein, wir hatten einen miesen kleinen Dreckskerl zu Gast, der sich einen Bericht ›geborgt‹ hat. Dtui, haben Sie Ihr Notizbuch noch?«
»Das Obduktionsbuch?«
»Ja.«
»Ja. Es liegt hier in der Schublade.« Sie zog sie auf und holte das Notizbuch heraus.
»Braves Mädchen. Wenn Sie gestatten, leihe ich es mir kurz aus und schreibe einen neuen Bericht zu Frau Nitnoy.« Er ging zu ihr und ließ sich das Notizbuch geben.
»Wissen wir, woran sie gestorben ist?«
»Noch nicht. Nur Laap war es ganz sicher nicht. Aber das bleibt, bitte schön, unter uns. Haben wir uns verstanden?« Sie nickten. »Es sieht ganz so aus, als ob jemand diesen Fal so schnel wie möglich zu den Akten legen möchte.
Ab sofort, liebe Kinder, sind wir keine gewöhnlichen Pathologen mehr. Wir sind Detektive des Todes. Inspektor Siri und seine getreuen Helfer. Einer für al e, al e für einen.« Er marschierte zur Tür, drehte sich noch einmal um, schlug die Hacken seiner Sandalen zusammen und grüßte militärisch.
Lächelnd und kichernd ging er hinaus auf den Parkplatz. Durch das Oberlicht hörten sie, wie er die französische Nationalhymne sang, bis er verschwunden war.
Im Dienstzimmer war es totenstil . Die Kakerlaken machten keinen Mucks.
Dtui hatte es ausnahmsweise die Sprache verschlagen. Und selbst Geung in seiner kleinen Welt war nicht entgangen, dass irgendetwas anders war als
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