Colin Cotterill
Siri nicht leicht, Kumsing von etwas zu überzeugen, von dem er selbst nicht überzeugt war. Er wusste nicht, warum er glaubte, dass Kumsing keine andere Wahl blieb. Er hatte nicht damit gerechnet, dass seine Schilderung der Nacht im Dorf den Hauptmann tatsächlich dazu bewegen könnte, ihn zu begleiten. Aber der junge Mann war so verzweifelt, dass er al es versucht hätte.
Siri blickte sich um und betrachtete die skurrile Besetzung des bevorstehenden Dramas. Es war geradezu absurd. Lao Jong, ganz in Rot gekleidet, befestigte winzige Zimbeln an seinen Fingern. Seine Frau band ihm eine Kapuze um. Tshaj entzündete die Räuchersteine und Kerzen. Der ekelhaft süßliche Geruch des Weihrauchs mischte sich mit dem Duft der Bienenwachslampen.
Tante Suab verteilte Amulette an die Zuschauer, als würde sie bei einem Fußbal spiel Erdnüsse verkaufen. Die meisten Dorfbewohner waren schon da.
Die Ältesten und die Hauptakteure hockten drinnen auf dem Boden, die anderen standen oder saßen draußen auf Bänken. Trotz der vielen Menschen war kein Laut zu hören. Selbst die Babys lagen stumm am Busen ihrer Mütter.
»Ist das gefährlich?«, flüsterte Kumsing.
»Keine Ahnung. Es ist mein erstes Mal. Aber seien Sie jetzt lieber stil .«
Lao Jong kniete sich, noch ohne Kapuze, vor den Altar und bot seinem Lehrer und al en Lehrern vor ihm, bis zu den Tagen des ersten und größten Schamanen, das Tablett mit den Speisen und dem Schnaps dar. Seine Frau zog ihm die Kapuze über den Kopf, und er gab mit den Fingerzimbeln leise einen schleppenden Rhythmus vor. Seine Frau schlug dazu mit dem Schenkelknochen eines Watvogels den Takt auf einem Gong.
Langsam begann Lao Jong ein Mantra zu skandieren, in einer Sprache, die Siri zwar noch nie gehört hatte, aber doch irgendwie verstand. Irgendwie wusste er, dass Lao Jong die großen Götter, die Engel und die bösen Geister beschwor, sich seiner zu bedienen. Er wiegte sich vor dem Altar leise hin und her und rief die Geister herbei. So ging es eine halbe Stunde, und trotzdem wurde niemand unruhig. Die Leute waren vom Rhythmus und von der Bewegung wie hypnotisiert. Noch immer war kein anderer Laut zu hören.
Nur Hauptmann Kumsing stöhnte immer wieder entnervt auf. Der Rauch reizte seine Augen. Von den Gong- und Zimbelschlägen dröhnten ihm die Ohren. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Dann, zunächst kaum merklich, steigerten sich Tempo und Lautstärke der Mantras. Lao Jongs Atem ging immer schwerer, und obwohl sein Gesicht unter der Kapuze verborgen war, sah man, dass er sich in Trance befand.
Seine Arme begannen zu zittern. Plötzlich sprang er auf, und sein ganzer Körper wand sich in immer heftigeren Zuckungen.
Obwohl er nichts sehen konnte, schien der Blick des Schamanen durch den Raum zu wandern. Er blieb an Siri hängen, der zurückschrak, als er merkte, dass al er Augen auf ihn gerichtet waren. Die Hoffnung, seinem ersten Exorzismus als Beobachter beiwohnen zu können, war im Nu verpufft. Lao Jong kippte um, nicht wie ein Mensch, eher wie ein gefäl ter Baum. Er fiel Siri bäuchlings vor die Füße.
Er war so schwer gestürzt, dass er dabei vermutlich das Bewusstsein verloren hatte. Er lag nur Zentimeter von Siri entfernt, unbeweglich, ohne zu atmen.
Der Doktor streckte die Hand aus, um notfal s Erste Hilfe zu leisten. Doch im Bruchteil einer Sekunde, fast zu schnel fürs bloße Auge, richtete sich der Schamane wieder auf. Als hätte man einen Film rückwärts laufen lassen. Als hätte der gefäl te Baum ganz von al ein in die Senkrechte zurückgefunden.
Die Menge schnappte nach Luft.
Die neuen Bewohner von Lao Jongs Körper beugten sich über den fassungslosen Doktor und legten in Höhe der Kapuze die Handflächen des Schamanen aneinander. Die Götter sprachen mit ihrer eigenen Stimme, einer Stimme, die unmöglich Lao Jong gehören konnte.
»Yeh Ming. Verrate uns, wo der böse Geist, der Phibob, lauert. Wessen Leib hat er auserwählt? Wer ist der Wirt?«
Siri war überwältigt. Das war eine große Verantwortung. Warum er? Al e starrten ihn an, wie einen Schauspieler, der seinen Text vergessen hat. Er blickte sich um, sah zum Fenster hinaus. Er betrachtete jedes Gesicht, jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in der Hoffnung, irgendwo ein Zeichen zu entdecken, einen Pfeil, ein flackerndes Licht. Doch er sah nichts und musste seine Niederlage eingestehen: »Woher sol ich das wissen?«
Obwohl sich der Schamane nicht von der Stel e gerührt hatte, schnel
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