Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
selbst Ohren ohne jede Erweiterung konnten ihre Schreie und ihr Schluchzen hören.
Tamman erschauerte und wandte sich ab, und er ekelte sich ein wenig vor sich selbst, weil selbst diese Gräuel dort nicht dafür sorgten, dass er auch nur um eine Winzigkeit weniger zufrieden mit dem Ergebnis war.
Finster blickte Fürstmarschall Rokas im Schein der Lampe die Karte an. Allerdings vermochten seine finsteren Blicke diese auch nicht zu verändern, und die Berichte waren jetzt immer noch ebenso verstörend, wie sie es gewesen waren, als sie frisch eingetroffen waren.
Er verzog das Gesicht. Der erste Hinterhalt hatte ihn einundsiebzig Männer gekostet, und das auf eine Entfernung, von der Unterhauptmann Turalk Stein und Bein schwor, dass sie oberhalb von zweihundert Schritten gelegen habe. Der zweite und der dritte Hinterhalt waren noch schlimmer gewesen. Die Gesamtverluste der Heiligen Heerscharen lag bei mehr als vierhundert, hauptsächlich Kavalleristen – davon besaß seine Armee ohnehin nicht übermäßig viel.
Seine Kundschafter hätten übermenschlich sein müssen, wenn das, was heute geschehen war, sie am morgigen Tag nicht ängstlicher werden ließe. Das allein war schon schlimm genug, doch wie hatten diese Ketzer das gemacht? Woher hatten sie so viele Dragoner? Oder wo hatten sie die versteckt? Rokas hätte niemals für möglich gehalten, dass bei einem solchen Hinterhalt mehr als einhundert Mann würden versteckt werden können, aber seine Verluste ließen bei jedem der drei Hinterhalte auf das Dreifache oder gar Vierfache schließen – und dann auch noch mit Malagors!
Der Fürstmarschall schenkte sich einen Pokal Wein ein und ließ sich in einen Klappstuhl sinken. Wie sie das gemacht hatten, war weniger bedeutend als die Tatsache, dass sie es getan hatten. Nur würden Hinterhalte allein die Ketzer nicht retten können. Wenn sie sich nicht jeglicher Möglichkeit berauben wollten, ihn in den Bergen einzukesseln, dann mussten sie sich bald dem Kampf stellen. Und wenn sie das dann endlich täten, dann würde er sie schlichtweg zermalmen!
Das wäre auch besser so, denn zwei Drittel der gesamten Artillerie und der Musketen von Mutter Kirche sowie die Hälfte ihrer Rüstungen und Pikenspitzen stammten aus den Gießereien von Malagor. Rokas hatte es nie behagt, so sehr von einer einzigen Quelle abhängig zu sein, doch das, was sie jetzt vor sich sahen, war übler als sein schlimmster Albtraum. Denn mit jeder Gießerei, die Mutter Kirche verloren hatte, hatten die Ketzer eine hinzugewonnen.
Rokas wusste bis auf die letzte Pike und die letzte Pistole genau, wie viele Waffen im Arsenal der Garde in Malagor gelagert gewesen waren. Was die säkularen Waffenarsenale betraf, waren seine Zahlen nicht ganz so genau, aber immer noch gut genug, um eine vernünftige Schätzung abzugeben. Selbst wenn diese Ketzer sie jetzt allesamt in ihre Gewalt gebracht hätten, so konnten sie doch kaum mehr als einhunderttausend Mann ausstatten. Doch mit der Zeit konnten Malagors Handwerker jeden einzelnen Mann im gesamten Fürstentum bewaffnen, und wenn das geschah, dann würde eine Invasion dieses durch die Berge geschützten Landes die Heiligen Heerscharen mehr kosten, als erträglich zu nennen wäre.
Endlich war es Rokas gelungen, den Inneren Kreis von dieser einfachen, offensichtlichen Tatsache zu überzeugen. Wäre ihm das nicht gelungen, so hätten die Prälaten die Heerscharen gewiss noch bis zum ersten Schneefall am Aufbruch gehindert, um ›die Seelen der Männer gegen die Ketzerei zu wappnen‹.
Doch endlich hatte Hohepriester Vroxhan auf ihn gehört, und nun brütete Rokas über den Markern auf der Karte, die einhundertundzwanzigtausend Mann anzeigten – die absolute Elite der im Osten von Nord-Hylar stationierten Garde. Rokas' Streitmacht war tatsächlich zu groß für dieses beengte Terrain, doch, und das hatte er dem Hohepriester auch so gesagt, Strategien und Manöver waren in der jetzigen Situation kaum von Bedeutung.
Unglücklich starrte Rokas die blaue Linie an, die den Mortan-Fluss anzeigte, und nippte an seinem Wein. Ein Kleinkind hätte ihm den einzig möglichen Pfad hindurch zeigen können, und Tibold war wahrlich kein Kleinkind – verflucht sollte er sein! Er glich einem Seldahk mit all der Geschwindigkeit und der Schläue, die diese Spezies nun einmal an den Tag legte: einem Seldahk zudem, der einen Oberhauptmann beleidigt hatte und deswegen auf den unangenehmsten Posten versetzt worden war, dem
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