Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
seine eigenen Schuldgefühle zu lindern. Wenn man die Gefallenen dieses Tages mitzählte, hatte der Krieg, den er und seine Freunde, ohne es zu wollen, begonnen hatten, inzwischen mehr als einhunderttausend Opfer allein auf den Schlachtfeldern gekostet . Sean hatte keine Ahnung, wie viele darüber hinaus den Krankheiten zum Opfer gefallen waren, die in prä-industriellen Armeen immer wüteten, und er hatte Angst, die Zahlen zu erfahren. Blickte er auf die Reise zurück, die seine Freunde und ihn hierher geführt hatte, überdachte er jede getroffene Entscheidung an jedem Wendepunkt dieser ihrer Reise, schaute er sich die Alternativen an, die ihnen jeweils zu Gebote gestanden hatten – jedes Mal, wenn Sean das tat, kam er wieder zu dem Schluss, dass sie nicht anders hätten entscheiden, nicht anders hätten handeln können. Und doch schien ihm all das Sterben und das entsetzliche Leiden der Verwundeten ein geradezu obszön hoher Preis dafür, dass fünf Gestrandete einfach nur zurück nach Hause wollten.
Sean atmete tief durch. Der Preis erschien ihm obszön hoch, weil er obszön hoch war , und Sean hatte nicht die Absicht, mehr zu zahlen als unbedingt erforderlich. Der ›Tempel‹ hatte die über Semaphoren überbrachten Angebote, in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten, einfach ignoriert. Man weigerte sich, seine ›Dämonen anhängenden‹ Boten zu empfangen, doch eines gab es noch, dass Sean auszuprobieren gedachte.
Hohepriester Vroxhan saß in seinem Sessel, und seine Lippen zuckten, als wolle er die Männer, die ihm gegenüber standen, jeden Moment anspucken. Oberhauptmann Ortak, Oberhauptmann Marhn, Oberhauptmann Sertal … die Liste war endlos. Mehr als fünfzig der ranghöchsten Offiziere standen vor ihm, die überlebenden Befehlshaber der Armeen, die von den Dämonen-Anhängern so gnadenlos nacheinander aufgerieben worden waren, und er hatte das dringende Bedürfnis, sie alle, die ganze hilf- und wertlose Bande, einfach den Inquisitoren zu überlassen, so wie sie es für ihr Versagen verdient hatten!
Doch so sehr er sich das auch wünschte und so sehr sie es auch verdient haben mochten, er konnte es nicht tun. Die Kampfmoral der ihm noch verbliebenen Truppen war nicht sonderlich stabil. Vielleicht hätten Massenhinrichtungen den einen oder anderen von denen, die schwach werden konnten, von der Notwendigkeit, Rückgrat zu zeigen, überzeugt. Andere aber überzeugten dieses Massenhinrichtungen vielleicht davon, dass der ›Tempel‹ in seiner Verzweiflung jetzt nur noch blind um sich schlüge. Zudem hatte Fürstmarschall Surak die zu einem Sieg gegen die Dämonen-Anhänger unfähigen Offiziere verteidigt. Er brauche Beobachtungen aus erster Hand, hatte er insistiert, wenn er die entsetzlichen Neuerungen verstehen wolle, die diese verfluchten Dämonen-Anhänger in die Kriegskunst eingeführt hätten.
Oder wenigstens behauptet er das. Vroxhan schloss die Augen und presste die geballten Fäuste auf die Armlehnen seines Sessels. Ein schlechtes Zeichen, nun allen gegenüber misstrauisch zu sein. Heißt das, ich bin verzweifelt? Er klammerte sich an seinen Glauben und zwang sich dazu, die Augen wieder zu öffnen.
»Also gut, Ortak«, grollte er dann, angesichts des Versagens dieses Offiziers unfähig, ihn mit dem an sich dank seines Dienstgrades gebotenen Respekt zu behandeln. »Dann berichte von diesen Dämonen-Freunden und ihren Bedingungen !«
Ortak verzog das Gesicht, auch wenn man es kaum erkennen konnte – sein Gesicht war ebenso dicht in Verbände gehüllt wie der Stumpf seines rechten Arms, und suchte vorsichtig nach den richtigen Worten.
»Eure Heiligkeit, deren Anführer haben mir aufgetragen Euch zu sagen, dass sie nur danach streben, mit Euch zu sprechen. Und …«, er holte tief Luft, »… Erlaucht Sean sagt, Ihr könnt jetzt mit ihm sprechen oder inmitten der Ruinen dieser Stadt, aber letztendlich werdet Ihr mit ihm sprechen.«
»Blasphemie!«, schrie der alte Bischof Corada. »Das hier ist die Stadt Gottes ! Niemand, der mit den Mächten der Hölle im Bund steht, wird sie jemals einnehmen!«
»Euer Exzellenz, ich berichte nur, was Erlaucht Sean gesagt hat, nicht, was er zu bewerkstelligen in der Lage ist«, erwiderte Ortak, doch sein Tonfall verriet deutlich, dass er es sehr wohl für möglich hielt, dass die Ketzer sogar den Tempel würden einnehmen können, und Vroxhans Hand zuckte beinahe, so heftig war sein Bedürfnis, den Soldaten zu schlagen.
»Ruhig, Corada!«,
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