COLLECTION BACCARA Band 0259
Ahnung.“
Maren trat durch die Tür, die er ihr aufhielt, und nickte dabei dankend mit dem Kopf. Sie bezweifelte, dass es irgendetwas gab, wovon Jared Stevens keine Ahnung hatte.
„Ich habe gehört, der Neue stellt sich ziemlich geschickt an.“
Maren hielt noch die Türklinke in der Hand und lächelte, als sie die vertraute tiefe Stimme hörte. Joe Collins, der Mann, den sie auf der ganzen Welt am meisten liebte, drehte sich zu ihr um.
Obwohl er schon Ende fünfzig war, machte Joe den Eindruck, als könne er Bäume ausreißen. Mit seiner bloßen Gegenwart gelang es ihm, einen Raum der Geborgenheit für Maren zu schaffen. Das war vom ersten Moment an so gewesen. Von klein auf war er ihre ganze Welt gewesen, und sie verdankte ihm alles.
Sie küsste Joe auf die Wange, warf ihre Tasche auf den Schreibtisch und zog die Jacke aus. „Ich wusste gar nicht, dass du heute kommst.“
„Ich hab mich reingeschlichen“, sagte er augenzwinkernd.
Maren hängte ihre Jacke an den Haken, zog sich den Schreibtischstuhl heran und setzte sich. Allmählich ließ ihre Anspannung nach. So war es immer, wenn sie mit Papa Joe zusammen war. Er gab ihr das Gefühl, dass alles gut werden würde, solange er nur bei ihr war.
Amüsiert zog sie eine Augenbraue hoch. „So, und woher weißt du dann von dem Neuen?“
„Das möchtest du wohl gerne wissen.“ Sein warmes dröhnendes Lachen legte sich um sie wie ein Mantel. So wie er sie damals in den Armen getragen hatte, als er sie vom Krankenhaus abholte. Von da an war sie in seinem Herzen und in seinem Leben gewesen. Er hatte sie davor bewahrt, in ein Kinderheim zu müssen.
Immer wieder hörte sie diese Geschichte gerne, obwohl Joe sie im Laufe der Jahre ständig verändert hatte. Als sie den Mann, den sie für ihren Vater hielt, zum ersten Mal gefragt hatte, warum sie keine Mutter hätte wie all die anderen im Kindergarten, hatte er ihr erzählt, sie sei in Wahrheit eine Prinzessin.
Mit großen Augen hatte sie ihm zugehört, während er davon erzählte, dass ihre Mutter eine Königin in einem fernen Land gewesen war, die ihre kleine Tochter vor einem bösen Riesen retten wollte und dabei tödlich verwundet worden war. Er, Joe, sei der Ritter gewesen, der sie gefunden und das Ungeheuer getötet hätte.
Maren wusste noch, dass sie immer in die Hände klatschte, wenn er zu diesem Teil der Erzählung kam. Die sterbende Königin hatte dem mutigen Ritter ihre kleine Tochter anvertraut und ihn gebeten, sie für immer zu beschützen.
Als sie älter wurde, ließ Papa Joe das Märchenhafte allmählich aus der Geschichte verschwinden. Mit dreizehn dann erzählte er ihr die Wahrheit. Das war, nachdem er seine Verlegenheit überwunden hatte und mit ihr den ersten Büstenhalter kaufen ging, weil sie unbedingt einen wollte.
Die wahre Geschichte ging so: Es war ein regnerischer Abend, und Joe musste auf dem Weg nach Hause das Rotlichtviertel durchqueren. Plötzlich sah er am Straßenrand eine junge Prostituierte liegen und stellte beim Näherkommen fest, dass sie gerade ein Kind geboren hatte. Ihr Puls ging nur noch schwach, und sie hatte eine Menge Blut verloren.
Schnell rief er ein Taxi und brachte Mutter und Kind ins Krankenhaus. Dem Taxifahrer, der sich über das Blut in seinem Wagen beschwerte, gab er ein ordentliches Trinkgeld.
Für die junge Prostituierte war es leider zu spät. Sie starb binnen einer Stunde. Alle dachten, Joe sei der Vater, und irgendetwas hielt ihn davon ab, das Missverständnis aufzuklären. Er selbst hatte keine Familie, und irgendwie gefiel ihm der Gedanke, Vater zu sein.
„Du hast mit deiner süßen kleinen Hand meinen Finger festgehalten, und da war es um mich geschehen.“ Diesen Teil der Geschichte hatte Joe nie verändert.
Drei Tage lang war er jeden Tag ins Krankenhaus gefahren, um das Baby zu besuchen, und am vierten Tag durfte er es mit nach Hause nehmen.
Er bezahlte die Krankenhausrechnung und auch die Beerdigung ihrer Mutter. Die Suche nach Angehörigen blieb ergebnislos, und nach drei Monaten, nachdem er sogar einen Privatdetektiv engagiert hatte, gab Joe es auf. Ab jetzt gehörte die Kleine zu ihm.
Er nannte sie Maren nach seiner eigenen Mutter und ließ als Nachnamen Minnesota eintragen, denn in diesem Bundesstaat lebte er damals. Damit sie sich immer unabhängig fühlen konnte, gab er ihr ganz bewusst nicht seinen eigenen Nachnamen. Aber er versprach ihr, für sie zu sorgen und immer für sie da zu sein, wenn sie ihn brauchte.
Von klein auf
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