Colorado Saga
etwas von der Überraschung erholt hatte. »Nicht für mich, sondern für Tönerne Schale und meine Tochter Lucinda.«
An jenem Morgen gab es sicher nur wenige Menschen auf der Welt, die weniger willkommen gewesen wären; denn Lise Pasquinel steckte mitten in der vorsommerlichen Gesellschaftssaison und war mit zahlreichen Parties beschäftigt, auf denen ihr hochangesehener Sohn und ihre schöne Tochter eine wichtige Rolle spielten. Diese plötzliche Ankunft von Menschen aus einer fernen Vergangenheit war sicherlich nicht nach ihrem Geschmack. Doch als sie sah, wie schön Lucinda und wie stattlich Tönerne Schale waren, öffnete sie ihnen ihr Herz und rief: »Was für eine prächtige Familie hast du da, McKeag.« Er erwiderte ohne Verlegenheit: »Sie gehörten zu Pasquinel, aber ich passe jetzt auf sie auf.«
»Dein Zimmer ist bereit«, sagte sie mit einladender Gebärde, umarmte Lucinda und machte ihr ein Kompliment: »Du bist ja eine kleine Schönheit. St. Louis wird dich mit offenen Armen aufnehmen.« Sie führte das Trio in eine Vierzimmersuite, doch McKeag erklärte, daß er, während er seine Waren einkaufte, am Fluß wohnen würde. Davon wollte Lise nichts wissen: »Du hast viel von dem Geld verdient, mit dem dieses Haus erbaut wurde. Du bleibst hier.«
Am Nachmittag stellte sie die beiden Frauen als »Mrs. Alexander McKeag, die Gattin des Partners meines verstorbenen Mannes, und ihre liebliche Tochter Lucinda« vor. Sie wiederholte dies durch den ganzen Frühling und Sommer, bis die Gesellschaft von St. Louis die beiden Indianerinnen akzeptiert hatte.
Sie wußte, welche Gerüchte in der Stadt umgingen: »Die Ältere ist in Wirklichkeit Pasquinels indianische Frau, was Lucinda zur Halbschwester von Hauptmann Mercys Frau macht! Es muß für ihn ja eigentlich ein ulkiges Gefühl sein, wenn er sich auf den Krieg in Mexiko vorbereitet und dabei weiß, daß seine Schwägerin Indianerin ist!« Lise Pasquinel heuchelte nicht, wenn sie sagte: »Es ist eine Auszeichnung, solch ein wunderschönes Mädchen bei uns zu haben.« »Ich betrachte sie als meine Tochter«, erklärte sie allen, und: »Sie geht hier aufs Kloster, um Lesen und Schreiben zu lernen.«
Wenn der eine oder andere erstaunt die Augenbrauen hochzog, weil eine junge Frau noch Analphabetin war, sagte Lise mit entwaffnender Offenheit: »Sie wurde als Wilde aufgezogen.«
Wenn sie mit Tönerner Schale allein war, sprach sie gern über ihr Leben mit Pasquinel und lauschte mit Interesse den Berichten, wie der alte Trapper in der Prärie gehaust hatte. Spaßhaft meinte sie, daß sie und Tönerne Schale »Halbehefrauen« seien, genauso wie Lucinda und Lisette Halbschwestern. »Für unseren Verwandtschaftsgrad müßte es einen Namen geben.« Eines Tages rief sie während einer Unterhaltung impulsiv: »Aber mit diesem kleinen Mistkerl gab es doch ständig etwas zu lachen, nicht wahr?«
»Er war ein guter Ehemann«, erwiderte Tönerne Schale. »Mein Vater hatte es mir schon vorausgesagt.«
»Dein Vater muß ein wundervoller Mann gewesen sein«, sagte Lise nachdenklich. »Meiner übrigens auch. Es war nicht leicht für ihn, München mit zwei Töchtern zu verlassen... und in eine Stadt wie St. Louis zu kommen.« Sie hing noch einen Augenblick ihren Erinnerungen nach: »Ich habe ihn sehr
gemocht.«
»Ich habe Lahmen Biber auf die gleiche Art geliebt«, stimmte Tönerne Schale zu, und ohne daß sie darüber sprechen mußten, waren sich die beiden Frauen darin einig, daß man die ganze Welt leichter lieben könne, wenn man mit einem Menschen in Liebe verbunden ist.
»Ich weiß, daß mich die Leute hier in St. Louis mitleidig betrachten«, gestand Lise. »Ich kann sie direkt flüstern hören... >Arme Lise, sie hat einen nichtsnutzigen französischen Trapper geheiratet, der sie verlassen hat.< Aber aus dieser Ehe habe ich zwei wunderbare Kinder bekommen. Cyprian ist mit einem reizenden Mädchen verheiratet, das ihm bei seiner politischen Karriere behilflich ist, und Hauptmann Mercy hast du ja im Fort John getroffen.«
»Die Indianer vertrauen ihm«, sagte Tönerne Schale.
Lise runzelte leicht die Stirn und fuhr zögernd fort: »Deine Söhne... von ihnen hört man nichts Gutes.« Doch bevor Tönerne Schale antworten konnte, sagte sie noch: »Ich bin leider davon überzeugt, daß sie unseren Namen in Verruf bringen werden, und ich bin genauso überzeugt, daß du und ich nichts daran ändern können.«
»Es ist nicht leicht, halb indianisch, halb weiß zu
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