Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
einen Moment später in den Flur trete, öffnet sich keine der Türen und es erscheint auch niemand, um nachzusehen, wer da gekommen ist. Erleichtert atme ich auf. Mit Annie und Ian hatte ich auch gar nicht wirklich gerechnet, die müssten beide noch bei der Arbeit sein, aber Marcus, der an der Sporthochschule studiert, hätte da sein können. Ist er aber nicht.
»Welches ist dein Zimmer?«, fragt Jonathan, der mir in den langen, schmalen Flur gefolgt ist, und deutet auf die vielen Türen, die von ihm abgehen. Lächelnd zeige ich ihm die richtige und gehe ihm nach, als er die Tür öffnet und mein Reich betritt. Interessiert sieht er sich in dem kleinen Raum um, dann hebt er die Augenbrauen.
»Das hier hast du also dem Geschäftsapartment von Huntington Ventures vorgezogen, ja?« Sein Unterton ist amüsiert, aber auch immer noch irgendwie missbilligend.
Unwillkürlich muss ich an meine ersten Tage in London denken, als ich kurz obdachlos war, weil ich einem Betrüger aufgesessen bin. Annie hatte mir damals einen Platz in der WG angeboten – und Jonathan einen Tag später das noble firmeneigene Apartment, das ich jedoch nicht wollte, weil ich es bei Annie und den anderen netter und viel gemütlicher fand. Da konnte ich ja auch noch nicht ahnen, wie sich die Sache mit Jonathan entwickeln würde.
»Was wäre eigentlich passiert, wenn ich das Apartment genommen hätte?« Ich habe den Reißverschluss des Kleidersacks geöffnet, der am Schrank hängt, um noch mal nachzusehen, ob mit meinem Kleid auch wirklich alles in Ordnung ist. Selbstvergessen streiche ich über den herrlich weichen Stoff und lächle bei der Vorstellung, wie ich morgen Abend darin aussehen werde. »Hättest du mich da besucht?«
Als Jonathan nicht antwortet, drehe ich mich um. Er steht vor dem Bett, die Hände lässig in den Taschen, und blickt mich auf diese Weise an, die mein Herz immer zum Stocken bringt.
»Ich hätte jedenfalls große Schwierigkeiten gehabt, der Versuchung zu widerstehen«, sagt er rau, und ich halte den Atem an, versinke in seinen blauen Augen.
Sie haben dunkle Flecken, die man nur erkennen kann, wenn man ganz genau hinsieht. Wenn ich ihn nur aus der Ferne betrachtet hätte, so wie die meisten, dann wären sie mir vielleicht nie aufgefallen, denke ich. Nur wer ihm nah kommt, entdeckt sie, diese Dunkelheit in seinem Blick, die ihn so anziehend macht und gleichzeitig so unnahbar.
Ich habe ihm noch nicht gesagt, dass ich ihn liebe – weil ich zu viel Angst hatte, dass er meine Gefühle zurückweist. Diese Angst ist mein ständiger Begleiter, lässt mein Herz gerade jetzt wieder unruhig schlagen. Ich weiß, dass ich ihm nicht gleichgültig bin. Er will nicht, dass ich gehe, er begehrt mich und er steht zu mir, wenn es darauf ankommt. Das hat er erst gerade heute wieder bewiesen. Aber liebt er mich? Wie tragfähig ist das, was er für mich empfindet?
Irgendwie ist es mit Jonathan immer so, als würde ich auf einer Hängebrücke balancieren, mitten über einem tiefen Abgrund. Es ist aufregend und noch hält mich das Seil. Aber es ist verdammt dünn, kann jederzeit reißen, und dann falle ich. Unaufhaltsam.
»Das Kleid ist schön«, sagt er, und ich nicke und schlucke, für einen Moment nicht in der Lage, etwas zu antworten. Unsere Blicke haben sich verhakt, laden die Atmosphäre zwischen uns auf, machen mich ganz atemlos. Eine Geste, ein Schritt auf ihn zu, das würde jetzt reichen, um die Leidenschaft zwischen uns erneut zu entfachen. Aber bevor einer von uns etwas tun kann, dreht sich plötzlich ein Schlüssel in der Wohnungstür und jemand stößt sie geräuschvoll auf.
Die Anspannung weicht aus meinem Körper, und ich atme aus, lächle Jonathan ein bisschen zittrig an, der den Mundwinkel hebt, weil er genau wie ich weiß, wie knapp das war. Wer weiß, was wir gerade getan hätten, wenn wir nur ein paar Minuten später gestört worden wären.
Schnell schließe ich die Kleiderhülle wieder und bin mit einem Schritt an der Tür, reiße sie auf. Annie, die mit einer Plastiktüte in der Hand im Flur steht und gerade ihre Handtasche an die Garderobe hängt, fährt erschrocken herum. Dann lächelt sie strahlend.
»Grace! Was machst du denn hier? Ich dachte du wolltest nach Lock …« Ihre Stimme erstirbt, als Jonathan mit der Kleiderhülle über dem Arm hinter mir aus dem Zimmer tritt. »… wood«, beendet sie ihren Satz zögernd, offenbar nicht sicher, wie sie mit der Tatsache umgehen soll, dass ihr Boss im Flur ihrer
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