Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
andere Kellner-Outfits, und bewegen Dinge: Bänke, Fässer, Kisten mit Lebensmitteln, Kabelrollen – eben alles, was man für das große Fest braucht, das hier morgen stattfinden soll.
»Wann wurde Lockwood Manor erbaut?«, frage ich, weil mir langsam schwant, dass ich total unterschätzt habe, mit was für altem Adel ich es hier zu tun kriege.
»Die ältesten Gebäude stammen aus dem 14. Jahrhundert«, sagt Jonathan und bestätigt meine Befürchtungen.
»Und es war immer schon der Sitz deiner Familie?«
Er nickt, aber er scheint das weit weniger ungewöhnlich zu finden als ich, sieht eher resigniert aus. Ich dagegen bin für einen Moment ganz starr vor Ehrfurcht und kriege nur mühsam Luft. Puh. Das nenne ich mal eine lange Tradition. Und all das hier, dieses wunderschöne Haus und die Geschichte, die damit verbunden ist, will Jonathan wegwerfen – bloß weil er sich mit seinem Vater nicht versteht?
Vom Earl ist weit und breit nichts zu sehen, und auch sonst scheinen alle im Hof Anwesenden nur für die Vorbereitung der Feier zuständig zu sein – nicht für das Feiern selbst. Ich will Jonathan gerade fragen, wann die Gäste kommen, doch sein Gesicht hellt sich plötzlich auf, und als ich seinem Blick folge, sehe ich, dass seine Schwester in diesem Augenblick aus der Tür des Haupthauses kommt, dicht gefolgt von Alexander.
Sarahs Bein steckt in einem blauen Hightech-Tapeverband, der den Gips inzwischen ersetzt, und sie muss eine Krücke benutzen, um damit zu laufen, aber sie sieht trotzdem toll aus in ihrem roten Sommerkleid und strahlt über das ganze Gesicht, als sie auf uns zu humpelt.
»Hallo! Da seid ihr ja endlich!«, sagt sie und schlingt ihren freien Arm um Jonathan, der ihr entgegengeeilt ist und sie an sich drückt. Wieder stelle ich fest, wie ähnlich sich Bruder und Schwester sind. Beide haben schwarzes Haar und diese ungewöhnlich blauen Augen. Doch Sarah ist schlank und zierlich und wirkt im Moment – vielleicht aufgrund der langen Zeit im Krankenhaus – fast zerbrechlich gegen den großen Jonathan.
Als ich sie das erste Mal sah, waren ihre Haare sehr kurz geschnitten, doch inzwischen sind sie nachgewachsen und schmiegen sich etwas länger um ihr hübsches Gesicht, was sie femininer aussehen lässt. Sie wirkt überhaupt weicher und glücklicher als noch vor ein paar Wochen – was ganz sicher an Alexander liegt, der die ganze Zeit hinter ihr steht und aufmerksam über sie wacht.
»Wie geht’s dir?«, will Jonathan wissen. »Hat der Arzt wirklich gesagt, dass es okay ist, wenn du hier schon rumläufst?«
»Hat er«, versichert sie ihm lächelnd. »Frag Alex – er war dabei.«
Alexander bestätigt es Jonathan, und beide Männer begrüßen sich mit einer Umarmung, die aber diesmal, wie ich finde, etwas weniger herzlich ausfällt als sonst. Zeit, über die Gründe dafür nachzudenken, bleibt mir jedoch nicht, denn Sarah lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich, streckt ihren freien Arm nach mir aus.
»Grace! Ich hab schon so auf dich gewartet!« Sie umarmt mich, drückt mich fest an sich. »Ich muss dich nachher unbedingt sprechen«, raunt sie mir zu, und als ich überrascht nicke und noch mal genauer hinsehe, bemerke ich den leichten Schatten auf ihrem Gesicht. Ist doch nicht alles gut zwischen ihr und Alexander?
Besorgt betrachte ich den großen blonden Mann, während wir uns begrüßen. Aber er lächelt wie immer, wirkt entspannt und gut gelaunt.
»Na, wie geht’s unserem Neuzugang?«, fragt er und gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Alles in Ordnung in der Planungsabteilung?«
Ich kann nur nicken, denn Sarah scheint die Antwort für nicht so wichtig zu halten, zieht mich am Ärmel.
»Geschäftliche Dinge könnt ihr am Montag wieder besprechen. Jetzt trinken wir erst mal einen Tee«, verkündet sie entschlossen und bedeutet mir und den anderen, ihr zurück ins Haus zu folgen. Natürlich gehorchen wir ihr – wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann kann sie ähnlich beharrlich und unnachgiebig sein wie ihr Bruder, auch wenn sie es meistens ein bisschen charmanter verpackt, denke ich lächelnd.
Drinnen ist Lockwood Manor tatsächlich ein »alter Kasten«, wie Jonathan in Irland so herablassend gesagt hatte. Die Moderne hat hier definitiv noch keinen Einzug gehalten, aber es wäre auch eine Schande, wenn sie es täte, denke ich und lasse den Blick bewundernd über die Antiquitäten gleiten, mit denen die Zimmer möbliert sind. Alles wirkt konservativ, ja, und durch die vielen
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