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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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was sie umtrieb. Sie strich ihm sanft über den Unterarm: „Andermal
Friedhelm, ich will nur noch schlafen.“
    Er nickte, schien fast erleichtert und hob die
Hand zum Abschiedsgruss. An der nächsten Ampel griff van Broiken nach ihrem
Handy und suchte die Nummer, die eine Freundin ihr vor Wochen gegeben hatte. Unschlüssig
betrachtete sie das Display. Warum nicht, ein kurzes Räuspern, dann drückte sie
die Wahltaste. Am anderen Ende meldete sich ein Mann mit einer warmen, tiefen
Stimme. Es war einfacher als gedacht, in zwei Stunden würde sie im Arthotel
ihre verdiente Entschädigung empfangen. Zumindest konnte sie es sich leisten,
aus ihrer Einsamkeit auszubrechen, auch wenn es nur eine gekaufte Flucht war.

77
    Gallert starrte die Wand an. Sein Kommentar
beschränkte sich auf: „Ich stinke, habe keine sauberen Sachen mehr und nichts
zu essen im Haus.“ Dann war er davongeschlurft wie ein alter Mann. Die Füße lösten
sich kaum mehr vom Boden, die Arme schlenkerten kraftlos herum.
    Julia Mader schwirrte der Kopf. Gallert war anzusehen,
dass er kaum noch Hoffnung hatte, Lilys Mörder zu fassen. Eines hatte sie gelernt:
Wenn ein Täter nicht im Affekt handelt oder Spuren hinterlässt, dann – hier
brach ihr Selbstgespräch abrupt ab. Ihr wurde klar, dass sie es bislang noch nie
mit einem dann zu tun gehabt hatte. Sie hatte noch nie mit einem
Auftragskiller zu tun.
    Als sie Gallert zugeteilt worden war, hatten
einige Kollegen geraunt, sie solle auf den übermäßigen Gebrauch von Mundwasser
achten.

78
    In Maritas Kneipe waren alle Tische belegt.
Mein prall gefüllter Wäschesack beschäftigte für die nächsten 90 Minuten einen
Waschautomaten zwei Querstraßen weiter. Dort gehörte ich wie hier zur Stammkundschaft
und konnte mich darauf verlassen, dass niemand Hand an meine Boxershorts legen
würde. Ebenso verlässlich war die Küche bei Marita. Hier wechselte die Karte
nur, wenn der Koch kündigte oder das Zeitliche segnete.
    Ich setzte mich an die Bar, legte eins meiner
wenigen Bücher, die nicht aus dem lilyschen Programm zur Horizonterweiterung
stammten, zwischen meine aufgestützten Ellbogen und begann zu lesen. Branson,
der Mann, der in kurzen Sprüngen erklärt, wie alles zusammenhängt. Von der
Amöbe über den Killerwal bis zum erwartbaren Ende aller Mühen, wenn dereinst
ein intergalaktischer Findling uns jäh aber erwartbar rammen wird. Marita
rumorte in der Küche, wenn die Schwingtür aufging, hörte ich ihre
unmissverständlichen Kommandos.
    „Und?“ Ja, es konnte sprechen und befand sich
ungefähr 50 Zentimeter vor meiner Stirn. Kein „Guten Tag, Sie wünschen, wie
kann ich Ihnen helfen?“, nur ein trockenes Berliner „Und?“ Da lohnte auch kein Augenkontakt:
„Kleines Pils, Schnitzel mit Pommes.“
    „Essen is nich anne Theke!“
    Gott, sie hatte es wieder getan. Marita mit
ihrem Faible für gestrauchelte Existenzen beschäftigte immer wieder Aushilfskräfte,
deren einziges Talent darin zu bestehen schien, die Vorurteile über die Reste
der hiesigen Urbevölkerung zu bestätigen.
    Ich weigerte mich, auch nur den Kopf zu heben:
„Is doch und zwar presto!“
    Zumindest hatte sich der Neuzugang die Haare
gewaschen. Denn er kam näher und verbreitete einen Duft von frischer Melone. Ich
spürte, wie ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war.
    „Ick presto Dir gleich wat, wenn de dich nich
schleunigst vom Acker machst, sonst landeste inne Furche.“
    Es hatte mein Interesse geweckt: Eine Drohung
hatten wir lange nicht. Ich ließ das Buch Buch sein, auch weil ich einen
leichten Luftzug an meiner Stirn spürte. Wir waren uns schon sehr nahe
gekommen. Meine Hoffnung auf eine Überraschung wurde jedoch enttäuscht. Auch
die schweren Fälle tragen Uniform: graue Augen in einer Kajal-Grube, die Haare grün-pink.
Ihre Oberarme verrieten mir allerdings, dass es durchaus ein sonst geben
könnte, die obligatorischen Tattoos aus asiatischen Schriftzeichen spannten
über durchtrainierten Muskeln.
    Ich linste zur Seite. Inzwischen war Marita aus
der Küche gekommen und stand schweigend im Türrahmen. Die Nachgeburt des
typischen Berliner Charmes sah sich um. Was zwischen den zwei Frauen innerhalb
weniger Sekunden wortlos geklärt wurde, blieb mir verborgen. Das Ergebnis ließ
jedenfalls keine Sekunde auf sich warten. Ein freundschaftlich-rustikaler Klaps
auf den Oberarm: „Nischt für unjut. Ick bin die Silke. Pils jeht uff mich, allet
klar!“
    „Na denn, ick bin

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