Coltan
ist es aus mit unseren Pensionsansprüchen.“
Er zögerte keinen Moment: „Morgen früh. Ich komme rüber.“
Hanschke riss mit Schwung den Bogen aus der
Schreibmaschine.
82
Ich blinzelte in die Sonne. Der Wagen stand im prallen
Sonnenlicht auf einem staubigen Parkplatz. Von Mader und Ferdinand keine Spur.
Hinter mir rumpelte ein Traktor die Straße
entlang. Der Stroh beladene Hänger gab langsam den Blick auf ein zweistöckiges
Fachwerkhaus frei: „Zur Kastanie“. Links daneben eine Linde mit riesiger Krone,
darunter Tische und Bänke. Die beiden waren die einzigen Gäste. Ich kletterte
aus meinem Verschlag und humpelte mit tauben Füßen über die Straße.
„Was heißt hier ungesetzlich?“, hörte ich
Schneiderhannes schon von Weitem. „Ich sage doch nicht, dass wir ihn aufs Rad
flechten wollen. Glaub mir, Hanschke ist tricky, aber kein Krimineller.“
Ich bekam plötzlich einen Hustenanfall, die
Linde, die letzte Nacht. Mader blickte auf.
„Ah, unser Kommissar. Endlich ausgeschlafen?“
Schneiderhannes rückte auf der Bank zur Seite,
um mir Platz zu machen. Ich sah mich nach einem Kellner um.
„Kaffee?“, fragte Mader.
„Ja.“, und schon brüllte Schneiderhannes los:
„Karl, noch ´n Kaffee!“
Die Antwort kam prompt durch ein geöffnetes
Fenster: „Geht klar, Chef!“
Wie lange saßen die beiden hier schon? Schneiderhannes
kam allen weiteren Fragen zuvor: „Hatte seine Frau vor Jahren auf dem Tisch.
Ein Versicherungsfall. Die wollten der Frau einen Selbstmord unterschieben,
weil sie Schlaftabletten genommen hatte. Stimmte auch, aber daran ist sie nicht
gestorben. Todesursache war eine Lebensmittelvergiftung. Er hat nicht an
Selbstmord glauben wollen, da hab ich sie noch mal obduziert. Tat mir leid der
Mann, wie er mit seinen zwei Kindern so vor mir stand. Büchsenwurst, wir haben
den Hersteller und den Lebensversicherer rangekriegt. Die Kinder haben zwar
keine Mutter mehr, dafür sind sie jetzt finanziell abgesichert.“
In diesem Moment kam Karl um die Ecke, auf der
einen Handfläche ein Tablett mit Tassen, Tellern und einer riesigen
Kaffeekanne, auf der anderen ein Kuchenblech. Ein Mann um die fünfzig, mit
vollem, schlohweißem Haar und einem Kugelbauch über spindeldürren Beinen.
„Tag auch.“, murmelte ich.
„Na, wolln se ´n Zimmer? Mal richtig
ausschlafen? Raus aus dem Großstadtstress, verträgt ja nicht jeder!“ Karl
lachte dröhnend, als hätte er gerade den Witz des Tages erzählt.
„Später, zum Sterben vielleicht.“, versuchte
ich mich mit hilflosem Sarkasmus und einer Armbewegung in den leeren Garten zu
verteidigen.
„Vorsicht, hier geht gleich die Post ab. Im
Nachbardorf ist Kirchweih, aber es gibt keine Kneipe mehr. Ab drei ist hier rappelvoll.“
Er deckte den Tisch: „Ist jetzt fünf Jahre her.
Ich vermiss sie immer noch. Morgens, vor allem morgens. Dann rett ich mich so
über den Tag.“
Schneiderhannes klopfte ihm fast zärtlich auf
die Schulter. Karl hielt inne, sah ihm in die Augen: „Aber eins weiß ich, sie
ist irgendwo da oben und sieht uns jetzt zu. Und Ihnen ist sie ewig dankbar. Hier
wäre sonst alles den Bach runter. Na dann, wohl bekomms. Und damit das klar
ist: Ihr seid eingeladen!“
Keinen Widerspruch duldend drehte er sich um und
verschwand tänzelnd im Haus.
Ich stürzte den heißen Kaffee in einem Zug hinunter
und holte tief Luft. „Was habt ihr mit Hanschke?“
Sie sahen sich an wie zwei Verschwörer. Mader
zog die Augenbrauen in die Höhe: „Das Schneiderchen hatte eine Idee.“ Ich sah fragend
von einem zum andern, da legten sie auch schon zweistimmig los.
Was eigentlich wäre, wenn wir Starnhagen auf
unseren Videoaufnahmen identifizieren könnten?
„Schade nur, dass auf der Aufzeichnung so gar
nichts zu erkennen ist?“
„Mensch Gallert, nur mal angenommen, es wäre
anders?“ Mein Einwand hatte Schneiderhannes nicht im Mindesten beeindruckt und
so fabulierte er weiter vor sich hin, ohne jede Rücksicht auf die Tatsachen.
Es dauerte eine Weile, dann brach mein
Widerstand zusammen und ich begann, mich von der sogenannten Macht des
Faktischen zu verabschieden.
Sein Ausgangspunkt war jedenfalls keine allzu
abwegige Hypothese: Im Penthouse muss etwas geschehen sein, von dem weder Lily
noch Susanne Berthold hätten erfahren dürfen. Und es war klar, dass es dabei
wohl kaum um die Anwesenheit von Tarnowski oder Starnhagen ging. Also war da wohl
noch eine Person. Und wegen dem oder der gab es den ganzen Ärger. Mir
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