Coltan
war
schleierhaft, wie Schneiderhannes er auf diese Idee gekommen war. Intuition?
Mader sah mich erwartungsvoll an. Ich nickte
langsam: „Ja, möglich. Warum nicht.“ Ich sparte mir, ihnen von Lilys Brief auf
der CD zu erzählen.
Wir waren uns einig: der große Bluff, mit
technischer Unterstützung. Ich begann aufgeregt auf der Bank herumzurutschen.
War zwar nicht ganz unser Fachgebiet, aber das ließ sich klären.
Plötzlich überfiel mich wieder ein stechender
Schmerz in der Lendengegend. Ich griff in die Hosentasche und da war es wieder,
das verdammte Schlüsselbund. Mir fehlte jede Erinnerung, es vor unserer Abfahrt
noch aus der Dusche gefischt zu haben.
Mader griff nach dem Bund und ließ es um den
Zeigefinger kreisen.
„Na, haben wir jetzt schon ein Schließfach für
unsere Flaschen? Lagerwein lohnt sich doch nicht bei Deinem Verbrauch.“
„Wieso Schließfach?“
Sie warf das Bund zu Schneiderhannes: „Doppelbartschlüssel,
nummeriert. Schreib Dir mal die Nummer auf Mader. Können die von der Internen
morgen gleich überprüfen. Mal sehen, ob der Kollege sein diskretes Depot in der
Schweiz oder in Deutschland hat.“
„Das ist Lilys.“
Schneiderhannes ließ sich zurückfallen, während
er die Augen gen Himmel verdrehte: „Mensch Gallert, die Leber wächst zwar mit
ihren Aufgaben, aber dein Hirn verabschiedet sich langsam.“
Mader trat wütend gegen den massiven Tisch. Kein
Wort. Mir wurde schlecht, mein Magen verkrampfte sich. Ich sah von
Schneiderhannes zu Mader, aber keiner war bereit, mir Absolution zu erteilen. Minutenlang
war nur das Klappern von Löffeln und Gabeln zu hören. Selbst der ofenwarme
Apfelkuchen trug nicht zur Entspannung bei.
„Vergessen, hab es einfach vergessen. Da, nimm
es.“
Ich schob das Bund über den Tisch, aber sie wütete
angewidert weiter: „Mir reicht’s. Danke. Denkst Du eigentlich noch an was
anderes als, als an Dein, an Dich und – ach lass mich.“
Schneiderhannes legte ihr behutsam die Hand auf
den Unterarm: „Gemach, gemach.“
„Sie hat ja recht.“, war alles, was mir noch einfiel.
„Und damit ist alles entschuldigt?“, sie stand
abrupt auf, die Tassen klirrten. „Ich mach jeden Scheiß mit und Du kriegst
nicht mal die einfachsten Dinge auf die Reihe. Nicht nur, dass Du Deine Zeit
verplemperst. Mach was Du willst, geht mich nichts an.“
Dann drehte sie sich um und ging Richtung Wald
davon.
Schneiderhannes schwieg. Natürlich hatte sie
recht: Ich verschlampe Beweismittel.
Nach einer halben Stunde war sie zurück, griff
sich die Schlüssel und machte eine stumme Kopfbewegung Richtung Auto.
83
Den Verrat liebt man, nicht den Verräter. Van Broiken
ließ den Blick von den durchtrainierten Oberschenkeln über ihre glatten Waden
schweifen. Etwas mehr Bräune wäre gut. Dann zielte sie mit dem großen Zeh auf
ein gegenüberliegendes Fabrikgebäude. Vielleicht doch lieber ein Loft, direkt
am Fluss? Langsam schob sich ein weißer Schornstein zwischen die Fensterfront
und ihren Zeh. Sie war gern hier an diesem Kunststrand inmitten der Stadt. Zehn
Laster Sand kombiniert mit ein paar Liegestühlen der der unbarmherzig über die
Stadt herfallenden Sonne ergaben einen Hauch von Italien. Cocktails satt und junge
Männer in eng sitzenden Shirts, die Augen hinter ultraschwarzen Sonnenbrillen
versteckt. Jagdsaison! Doch keiner wollte den Jäger geben, wie sie immer wieder
enttäuscht feststellte. Waren es all die neuen Gesetze, die dem Flirt den
Garaus gemacht hatten? Wer wollte sich schon wegen sexueller Belästigung
erklären müssen. So blieb es beim unsicheren Mustern, beim Schaulaufen auf
beiden Seiten der Geschlechterkampflinie.
Immerhin, wenigstens hatte sich der gestrige
Abend gelohnt. Joseph, er sprach es „Dschoseph“ aus, war sein Geld wert gewesen.
Nein, es gab keinen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen, nur den,
dass sie meist intelligenter waren und unter einem Defizit an Machtinstinkt litten,
um sich durchzusetzen. Früher war Macht gleichbedeutend mit Stärke und das
Schicksal der Frauen vorherbestimmt. Erst mit dem Geld wurde alles anders. Geld
kennt keine Geschlechter. Die Muskelpakete der Neuzeit hatten Kreditkarten mit
unbegrenzter Deckung. Es gab keinen Grund, diese Freiheit nicht zu nutzen. Sollten
nur Männer das Recht auf bezahlten Sex haben? Nach drei Bacardi mit Joseph war
sie voll auf ihre Kosten gekommen. Wer zahlt, bestimmt! Sie hatte einiges
nachholen wollen.
Van Broiken nippte zufrieden an ihrer Cola,
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