Columbus
dürften schon vorher auf groÃer Fahrt gewesen sein, so alle die, die zur Stamm-Crew der Pinzóns gehören. Für sein Flaggschiff wählt Columbus wetterfeste baskische Matrosen, mit denen er schon vorher unterwegs gewesen ist.
Aus den Akten der königlichen Kanzlei ist denn letztlich auch nicht mit Sicherheit festzustellen, ob sich auf diesen Schiffen Marranen oder gar jüdische Flüchtlinge befunden haben. Manche Historiker spekulieren anhand der Namen einiger Besatzungsmitglieder, dass es so war. Aber wir wissen nur, dass der »Schwund« auf den Kanaren beträchtlich war; der Flottenführer hatte einige vakante Stellen zu besetzen. Wer hatte sich da verabschiedet? Waren es Auswanderer oder einfach nur Seeleute, denen im letzten Moment der Mut abhanden gekommen war und die mit der im Voraus ausgezahlten Heuer für vier Monate klammheimlich das Weite gesucht hatten? Wir wissen es nicht eindeutig, aber ich denke, wir können uns sicher sein, dass Santangel einige ungewöhnliche »Seeleute« an Bord gebracht hatte.
Wir haben bereits erfahren, dass ein Dolmetscher für Hebräisch an Bord sein wird - aber, trotz der angesagten Mission, die Heiden zu bekehren, kein Priester! Das ist jedoch nicht die einzige Ungereimtheit, die sich ergibt, wenn wir uns diese Einschiffung genau ansehen.
Unter den Papieren, die Columbus in seiner Seekiste mit sich führt, befindet sich ein mit prachtvollen Siegeln verziertes Dokument, versehen mit den Unterschriften der katholischen Könige. Es ist ein Brief an den GroÃkhan, den sagenhaften Herrscher »Kathays«, wie er in dem berühmten Reisebericht von Marco Polo dargestellt wird. Dieser Brief beginnt mit der huldvollen Anrede: »An den Ehrwürdigen Prinzen, Unseren teuren Freund! Ferdinand und Isabella, Könige von Kastilien und Leon, senden GrüÃe und reichen Segen. Mit Freuden haben Wir aus dem Munde vieler Unserer Untertanen und anderer, die zu Uns gekommen sind, vernommen, wie Ihr Uns und Unsere Nation achtet und schätzt, und haben von Eurem Verlangen gehört, Nachricht über Unsere Taten zu erhalten. Deshalb haben wir verfügt, Unseren edlen Kapitän Cristobal Colón an Euch zu entsenden, der Euch in Kenntnis setzen soll von Unserer Gesundheit und Unserem Wohlergehen. Wir bitten Euch, seinem Bericht Vertrauen zu schenken...«
Wer auch immer die Majestäten bewogen haben mag, diesen Brief zu verfassen - er muss eine blühende Fantasie gehabt haben. Denn die Vorstellung, dass der fabelhafte Herrscher der Chinesen sich auch nur die Bohne für das interessieren könnte, was irgendwo dahinten im Westen auf einer vergleichsweise kleinen Halbinsel ein paar Europäer gerade veranstalten, ist gelinde gesagt hirnrissig.
Nun ist es allerdings durchaus möglich, dass weder die Allerchristlichsten Könige noch ihre Kanzlisten und Schreiber jemals den Reisebericht des Venezianers aus dem Jahr 1298 zu Gesicht bekommen haben und sich einfach auf die Aussagen ihres »edlen Kapitäns« verlassen haben, dass da irgendwo der GroÃkhan sitzt - und unserem mit allen Wassern gewaschenen Seefahrer ist es durchaus zuzutrauen, dass er sich mit so einem Brief einfach eine Legitimation beschaffen wollte.
Was in aller Welt gedenkt er wirklich vorzufinden? Die Ware, die in der Bodega, im Laderaum der »Santa Maria«, verstaut wird, spricht eine andere Sprache: Bunte Mützen, Glöckchen, Glasperlen, Spiegel, Gongs, Stecknadeln - billiger Tand, wie man ihn an der Guineaküste als »Lockspeise« für die Eingeborenen benutzte, denen man das Gold abluchsen oder die man in die Sklaverei verschleppen wollte. Columbus kann nicht im Ernst angenommen haben, dass er mit solchem Tinnef eine asiatische Hochkultur »beglücken« würde. Und schlieÃlich wusste er von dem seinerzeit verstorbenen Pedro, der ja in »Indien« gewesen war, von nackten, braunhäutigen Eingeborenen â¦
Ein Rätsel mehr zu all den anderen.
Wie dem auch sein mag. Zwischen dem träumerischen Wunsch, ferne Goldländer zu finden, und der irrealen Hoffnung, auf die »jüdischen Königreiche« zu stoÃen, liegt das reale Wissen um die Seekarte des Pedro in seiner Tasche, das Wissen, dass dort drauÃen etwas ist. Und das wird er finden.
Aufschub
Während sich La Cazadora mit all ihrer Kraft, ihrem Hochmut und ihrer Angriffslust gegen die Anschuldigungen der königlichen Beamten wehrt,
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