Coma - Niven, J: Coma - The Amateurs
hatte sie das Gefühl, im Zentrum ihres Daseins klaffe ein tiefes Loch. Dieses Gefühl, dass irgendetwas fehlte und sie das falsche Leben lebte. Dass sie für etwas
Größeres, Besseres bestimmt war. Und jetzt, auf ihrer eigenen Türschwelle, im Licht der Fernsehscheinwerfer und des Blitzlichtgewitters der Kameras mit den großen Objektiven, wurde dieses Loch gefüllt. Das fehlende Stück war gefunden. Sie schlüpfte endlich in ihr wahres Leben. Zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit hatte sie das Gefühl, ganz genau da zu sein, wo sie hingehörte. Sie fühlte sich lebendig. Sie fühlte sich – berühmt .
Pauline erlebte in diesem Augenblick nicht weniger als ihre Wiedergeburt.
»Wie sehr würde das Geld Ihr Leben verändern?«, wollte jemand wissen.
»Das Geld?«, fragte Pauline.
»Die Siegprämie. 770 000 Pfund?«
Pauline spürte, wie ihr Kiefer zuckte.
»Warum waren Sie heute nicht dabei, um ihn anzufeuern?«, fragte jemand anderes.
»Nun …«, stotterte Pauline und versuchte, ihre Fassung zurückzugewinnen. »Einer von uns muss ja schließlich arbeiten, wissen Sie! Aber eigentlich war ich gerade im Begriff, nach Troon zu fahren …«
Lee paffte mit heftigen Zügen und zittrigen Händen an der blutigen Zigarette, und der Rauch versengte die Risse und Löcher in seinem Zahnfleisch.
Der Bildschirm eines kleinen tragbaren Fernsehers leuchtete grün in dem dunklen Raum. In scharfem Kontrast zu diesem schrecklichen Kerker ertönte Rowland Daventrys sanfte, schnurrende Stimme. Ranta starrte auf den Bildschirm. Alec, die Bestie und die anderen starrten auf Ranta. Ranta wandte sich vom Fernseher ab und Lee zu, der unbehaglich hin und her rutschte und dabei jedes Mal den kalten, schmierigen Film in seiner Hose spürte.
Für Ranta Campbell, der fest auf den Leitsatz »Ein guter Plan heute ist besser als ein perfekter Plan morgen« vertraute, waren die Dinge klar geregelt. In der Welt des Drogenhandels und der damit verbundenen Gewaltausübung gab es wenig Grauzonen: Entweder die Leute zahlten oder sie zahlten nicht. Geld wurde gemacht oder verloren, und danach bemaßen sich Strafe oder Belohnung. Aber jetzt war es so weit: Er war verwirrt. Hier gab es mehr als nur zwei Seiten.
Es mag eine schlechte Entscheidung von Alec gewesen sein, das zitternde Würstchen anzuheuern, das da vor ihm saß. Darüber würde später noch zu reden sein. Denn so viel war klar: Lee hatte sie im Stich gelassen. Und er würde dafür bezahlen müssen. Doch Ranta war auch empfänglich für diesen abergläubischen Firlefanz wie Juju und Voodoo, der alle chronischen Spieler heimsuchte. Würde er am Vorabend eines Rennens den Besitzer, Trainer oder engen Verwandten eines favorisierten Pferdes um die Ecke bringen?
»Jungchen«, sagte Ranta, »glaubst du, dein Bruder kann dieses verfickte Turnier gewinnen?«
Lee schluckte einen rauchig schmeckenden Blutklumpen. »S-Seit s-seinem Unfall, Ranta, kann … kann er keinen schlechten Schlag mehr spielen. Ich schwöre, er …«
»Wird er sich nicht fragen, warum du nicht da bist, um ihm zuzusehen?«
»Aye, vermutlich.«
»Lass gut sein, Dad«, sagte Alec. »Wir machen den Pisser jetzt alle.«
Ranta trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte und dachte nach.
»Heilige Scheiße«, rief die Bestie. »Seht euch das an …«
Ranta drehte sich wieder zum Bildschirm. Die Kamera verfolgte einen sich zügig über das Grün schlängelnden Putt in Richtung Loch. Dann gab es einen Umschnitt auf Garys Gesicht,
wie er sich auf die Lippe biss, während er besorgt den Ball verfolgte. Es war das erste Mal, dass Lee seinen Bruder im Fernsehen sah. Ein seltsames Gefühl. »Das war Gary Irvine, der soeben einen Birdie am Achtzehnten spielte«, kommentierte Daventry, als der Ball ins Loch fiel.
»Oooh du großartiger Scheißkerl, du«, sagte Ranta.
50
GARY REAGIERTE AUF DEN FRENETISCHEN JUBEL DER ZUSCHAUER mit einem schüchternen Griff an seinen Visor. Der Putt war für sich genommen bereits eine imposante Leistung gewesen: zehn Meter über drei unterschiedliche Breaks. Umso beeindruckender aber war es, dass ihm das mit einem Golfhandschuh gelungen war, der wie mit Sekundenkleber bestrichen an seiner linken Hand pappte. Als Drew Keel herüberkam, um ihm die rechte zu schütteln, warf Gary seinen Ball in die Menge: noch etwas, das er im Fernsehen gesehen hatte. »Gut gespielt, Junge«, gratulierte ihm Keel. »Wir gehen nachher gemeinsam einen heben, klar?«
»Danke, gerne Drew.«
Es war völlig
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