Commissaire-Llob 1 - Morituri
Abend.“
Ungerührt verschwindet der Dickhäuter hinter
seiner gepolsterten Tür.
„Folgen Sie mir!“ rülpst mir der Albino in den
Nacken.
Das tue ich dann auch. Folgsam. Auf der Schwel-
le stecke ich ihm einen Zehn-Dinar-Schein in die
Tasche: „Kauf dir ein etwas interessanteres Ge-
sicht, Monsieur Yeti.“
Ohne mit der Wimper zu zucken, zieht der Albi-
no den Schein heraus und stopft ihn mir in den
Mund. Ehe ich Zeit habe zu reagieren, fällt die Tür
vor meiner Nase ins Schloß.
4
Versteckt an der Ecke der Rue des Lauriers-Roses
liegt das Nachtlokal Limbes Rouges. Es wird von Algiers Schickeria besucht und verfügt über eine
funkelnde Bar, eine große Tanzfläche, hübsch de-
korierte Tische und Nischen, die perfekte Diskreti-
on garantieren. Man serviert importierte Liköre,
getrüffelten Fasan und, falls einem der Sinn nach
dem Kick künstlicher Paradiese steht, Joints, die
einen ins Nirwana entrücken. Da es ein höchst pri-
vates Jagdrevier ist, verkehren hier hohe Funktio-
näre, die jungfräuliche Knaben lieben – der Grund,
warum ein versteckter Hauch von Vaseline in der
Luft liegt –, feine Damen, die vor Geilheit zittern,
und auch sonst ein Haufen interessanter Leute. Das
Essen ist üppig und die Rechnung horrend, so
bleibt man unter sich. Wer nicht weiß an Kragen
und Hautfarbe ist, hat keine Chance hineinzukom-
men.
Ein Gigolo mit gedopten Muskeln bewacht den
Eingang. Bei meinem Anblick fällt er fast in Ohn-
macht, so ungewöhnlich wirke ich in dieser Umge-
bung. „He, du Pferdehändler!“ bellt er, „der Tier-
markt ist am anderen Ende der Stadt.“
Ich beachte sein Gejapse nicht, stoße ihn beiseite
und dringe in die Grotte der Dämonen vor. Es
wimmelt vor dienstbaren Geistern. Alles ganz laut-
los. Schön ist das. Samtbespannte Wände mit Por-
nogemälden und Leuchten in phallischen Formen:
äußerst stimulierend.
Eine halbnackte Frau mit fadem Gesicht und
strengem Haarknoten entsteigt einem Vorhang. Sie
läßt ihren Natterncharme bis hinunter zu meinen
Füßen spielen. Doch da der Starter unterhalb mei-
ner Gürtellinie schon seit einer Ewigkeit eingeros-
tet ist, rührt mich ihr Lächeln nicht im geringsten.
„Was kann ich für Sie tun?“ zischt sie aus nächs-
ter Nähe.
„Für mich nicht viel, aber was die da angeht“, ich
zeige ihr das Foto von Sabrine, „da sage ich nicht
nein. Anscheinend verkehrt sie hier.“
„Da ist sie nicht die einzige.“
„Kennen Sie sie?“
„Sollte ich …?“
„Sie ist nicht mehr nach Hause gekommen.“
„Es ist nicht unsere Aufgabe, unsere Kunden
nach Hause zu bringen. Ist das alles, Inspektor?“
„Kommissar … Kommissar Llob.“
Mein Ruhm erschüttert sie nicht, diese Banause.
„Sie müssen mich entschuldigen. Wir machen in
weniger als drei Stunden auf und ich muß noch
zwei Truppen zusammenstellen.“ Ohne meine Er-
laubnis abzuwarten, kehrt sie hinter ihren Vorhang
zurück.
„Und nun verschwinden Sie, und zwar dalli!“
flucht der Gigolo mit den gedopten Muskeln. Und
schubst mich buchstäblich auf die Straße. In mei-
nem Alter!
„Und?“ erkundigt sich Lino, während er den Mo-
tor des Dienstwagens startet.
„Da könnte man genausogut während des Rama-
dan einen ehrlichen Fleischer suchen.“
„Was machen wir jetzt?“
„Schlag was vor!“
Das Cinq Étoiles ist ein brandneues Hotel. Vollständig mit dunklen Fenstern verglast. Mit seinen
elf Stockwerken, die Stadt und Hügel überragen,
gleicht es einem futuristischen Mausoleum. Es
heißt, ursprünglich habe man ein Krankenhaus
geplant, doch im sechsten Stock sei den guten Vor-
sätzen die Luft ausgegangen. Leute aus der oberen
Etage hätten sich eingemischt. Ab dem neunten
Stock hätten die Pläne mit dem Besitzer auch radi-
kal den Inhalt gewechselt, so daß den geladenen
Gästen bei der Eröffnung statt der Nationalhymne
ein fetziger Rai-Musik-Abend geboten wurde.
Fazit: Die kleinen Leute krepieren weiterhin in
unsäglichen Schweineställen, die sich Polikliniken
schimpfen … Ach, was bringt mir das schon, mein
Maul aufzureißen, armseliger Bulle, der ich bin,
große Klappe und winziger Kopf, der letztlich zu
nichts als zur Zielscheibe taugt.
Mit üppigem Busen und reizendem Gesichtchen
ist Mademoiselle Anissa ein schönes Stückchen
Traum. Hat man ihren Blick erst einmal eingefan-
gen, hält er einen fest. Ihr Lächeln ist so ergreifend
schlicht, daß es selbst einen Krüppel
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