Commissaire-Llob 1 - Morituri
Wort, er war Herr über
den Tag und die Nacht.
Seit der Hysterie vom Oktober 1988 gibt er vor,
sich aus der vordersten Reihe zurückgezogen zu
haben. In Wahrheit zieht er von seiner majestäti-
schen Residenz in Hydra aus weiterhin die Fäden,
und wenn er sich auch nicht mehr auf dem Bild-
schirm zeigt, sein Ruf als Schwarzer Mann geistert
noch immer durch die Köpfe der Leute.
So begann, mit Verlaub, selbst mein kleiner
Freund in der Hose zu frösteln, als Maleks Stimme
am anderen Ende der Leitung ertönte.
Kurz vor zehn Uhr abends komme ich in der Rue
des Pyramides 13 an. Es schüttet in Strömen. Ein
paar Blitze schleudern leicht schizophren ihren
Bannstrahl auf ein ganz und gar unbeteiligt dalie-
gendes Hydra.
Ich biege in eine von Koniferen gesäumte Schot-
terallee ein und fahre noch etwa hundert Meter,
bevor ich den Palast erreiche. Es dauert eine Weile,
bis ich inmitten der Knöpfe, die das Armaturen-
brett neben dem Eingang zieren, die Klingel finde.
Die Tür geht auf und zum Vorschein kommt ein
Albino-Gorilla.
„Kommissar L…“
„Streifen Sie sich die Schuhe auf dem Vorleger
ab!“
Der Ton ist autoritär, von umwerfender Feindse-
ligkeit.
Gelassen putze ich mir die Schuhe ab. Als ich
meinen Mantel ablegen will, hält mich der Gorilla
zurück: „Den können Sie anlassen, Monsieur. Das
Treffen wird nicht lange dauern.“
„Ich hoffe es, Schneewittchen, ich hoffe es.“
Mein Berberblut verwandelt sich langsam in Nit-
roglyzerin. Das Monster wirft mir einen vernich-
tenden Blick zu und entfernt sich unbeeindruckt in
Richtung einer gepolsterten Tür.
Ich entspanne mich, während ich den Luxus be-
trachte, der mir kaum Luft zum Atmen läßt, entde-
cke eine afrikanische Statuette und gehe näher hin,
um sie genauer in Augenschein zu nehmen.
„Achtung, die Alarmanlage!“ poltert eine Stimme
hinter mir los.
Hochaufgerichtet wie ein Elefant steht Monsieur
Ghoul Malek in der Mitte der Halle. Er ähnelt Or-
son Welles – ohne dessen Talent, versteht sich. Er
ist in einen scharlachroten weiten Morgenmantel
gehüllt und hält eine Zigarre zwischen den Fingern,
an denen ein Ring von der Größe einer Muschel
prangt.
Ich deute ein durch und durch professionelles
Lächeln an und strecke ihm eine Hand entgegen,
die beschämend im Nichts hängenbleibt.
Der einstige Ober-Manitu geht um mich herum
und beugt sich dann über die Statuette. „Neulich
abends, bei meinem Schwiegersohn, sind Sie viel
zu früh verschwunden.“
„Meine Krawatte hat mich gedrückt, Monsieur.“
Er macht „Mhm“ und wendet sich dann der Sta-
tuette zu: „Ich werde nie verstehen, warum so ein
morsches Ding so ein Heidengeld kostet.“
„Da ist wohl der Reichtum außer Kontrolle gera-
ten, vermute ich.“
Er zuckt kurz zusammen, kaschiert es aber gut.
„Verstehen Sie etwas von darstellender Kunst,
Kommissar?“
„Ich kann ziemlich sicher den Unterschied zwi-
schen Salvador Dalí und einem einfachen Anstrei-
cher erkennen.“
Er nickt. „Man sagt, Sie seien gläubig, Monsieur
Llob.“
„Da wird schon was dran sein.“
„Islamist?“
„Muslim.“
„Sieh mal einer an …“
„Monsieur, es ist schon nach zehn Uhr und ich
würde gern vor der Ausgangssperre zu Hause
sein.“
Er dreht sich um und mustert mich gelassen:
„Man sagt auch, daß Sie ein feinnasiger Spür-
hund sind.“
„Was nur beweist, daß man zuviel redet.“
Unvermittelt hält er mir ein Foto unter die Nase:
„Meine Tochter Sabrine.“
„Sie ist sehr hübsch.“
„Sie ist verschwunden.“
Ich nicke. Ohne Grund. Vielleicht aus einheits-
parteilicher Gewohnheit. „Hat sie sich schon öfters
aus dem Staub gemacht?“
„Sie hatte keinen Grund, so etwas zu tun.“
„Ich verstehe. Seit wann ist sie verschwunden
…?“
„Schon seit drei oder vier Wochen.“
„Ist sie vielleicht bei Freunden oder Verwand-
ten?“
„Kommissar“, jetzt wird er ungeduldig, „erstens
habe ich Sie ausgewählt, weil ich nicht daran inte-
ressiert bin, daß sich diese Geschichte herum-
spricht. Und zweitens, meine Tochter geht nie weg,
ohne eine Adresse zu hinterlassen. Außerdem weiß
sie, wie man ein Telefon bedient.“
„Ich glaube …“
„Danke, Kommissar, Sie können jetzt gehen.“
Schon ist der mehlige Gorilla da, um mich hin-
auszubegleiten.
„Es tut mir leid, aber nur mit einem Foto …“
„Für einen feinnasigen Spürhund ist das ausrei-
chend. Guten
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