Commissaire-Llob 1 - Morituri
Hügellandschaft einer Mülldeponie.
Mourad Atti liegt mitten in einem Abfallhaufen.
Flach auf dem Bauch. Den Hinterkopf von einem
großkalibrigen Geschoß weggepustet. Um sein
Hirn schwirrt eine Wolke von Fleischfliegen.
„Ein Stadtstreicher hat ihn gemeldet“, fügt der
Gendarm hinzu und preßt sich ein Taschentuch
vors Gesicht.
Ich beuge mich über den Kadaver. Er hat Hand-
schellen an den Gelenken, die Füße sind mit Ei-
sendraht gefesselt. Seine großen Augen, in denen
sich noch die Qualen der Folter spiegeln, scheinen
mich verstohlen zu mustern.
Der Gendarm warnt mich: „Fassen Sie ihn nicht
an. Er ist vermint.“
* * *
Zwei Tage später, als ich gerade versuche heraus-
zufinden, was die Bucht von Algier so mürrisch
aussehen läßt, und mir die Nase am Fenster meines
Büros plattdrücke, bekomme ich einen Anruf von
Anissa, der Gummipuppe vom Cinq Étoiles.
„Ich habe gehört, daß Sie bei Madame Fa Lanka-
bout eingeladen sind, Kommissar.“
„Richtig. Aber ich denke, daß ich wegen meines
Magengeschwürs nicht hingehen werde. Wenn du
keinen Begleiter hast, kann ich das arrangieren. Ich
habe einen Leutnant, der gerne aufsteigen würde.“
Der Atem der Kleinen beschleunigt sich. „Ich
muß auflegen“, japst sie mit sich überschlagender
Stimme. „Wir treffen uns bei Madame Lankabout,
Kommissar. Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.“
„Kannst du mir nicht den Weg ersparen und es
mir jetzt schon sagen?“
„Kann ich nicht. Bis heute abend.“
Sie legt auf.
Lino macht eine fragende Handbewegung.
„Eine Dame gibt einen Empfang.“
„Wann?“
„Heute abend.“
„Hast du ein Schwein, Kommy!“
„Wenn du willst, nehme ich dich mit.“
Der Bleistift, an dem er gerade kaut, entgleitet
ihm. „Du brauchst mich nicht zum Narren halten.
Das ist nicht nett.“
„Mein Wort gilt.“
„Wirklich, ganz im Ernst? Du lädst mich zu ei-
nem Empfang ein, mit Mädels und allem Drum
und Dran?“
„An deiner Stelle würde ich gleich loslaufen und
mir ein Päckchen Kondome besorgen.“
Mein Leutnant kann es gar nicht glauben. Er ist
so zufrieden, daß er fast an die Decke springt.
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Wenn es um ein Rendezvous geht, zögert Lino
nicht, sein Sparschwein zu schlachten. Dieses Mal
bin ich sicher, daß er auch an die Ersparnisse seiner
alten Dame gegangen ist. Er ist aufgeputzt wie ein
Pfau: kirschfarbenes Jackett, italienische Schuhe,
britische Krawatte, Pomade. Eine Revolution. Mit
äußerster Sorgfalt säubert er den Sitz, bevor er in
meine alte Karre steigt.
„Womit hast du dich denn eingeräuchert?“ frage
ich, als ich starte.
„Oha, du hast etwas gegen deinen Schnupfen ge-
tan, Chef! Das ist ein Parfüm aus Paris.“
„Aus dem Versuchslabor?“
„Von wegen!“ entrüstet er sich. „Mit Markenzei-
chen und allem, was dazugehört.“
Ich überhole einen Lastwagen und stelle fest:
„Du hast dich in der Flasche geirrt, mein Lieber.
Nach der Fliege zu schließen, die dort auf dem
Armaturenbrett im Koma liegt, bist du sicher an
ein Insektizid geraten.“
Lino kichert mit Blick auf meinen Anzug, dem
man die Unbestechlichkeit seines Trägers aus wei-
ter Ferne ansieht: „Gib zu, daß du auf mein Outfit
eifersüchtig bist, Chef!“
Wir treffen kurz nach Einbruch der Dämmerung
bei Madame Fa Lankabout ein. Lino kann es nicht
fassen, daß in einem Land, in dem Krieg herrscht,
ein solcher Prunk existiert. Offen gestanden habe
ich ihn ja auch mitgenommen, um ihn wachzurüt-
teln. Viel zu lange schon bekommt er den Schädel
mit Schlagworten und dummen Sprüchen über
Rechtschaffenheit und Transparenz vollgestopft.
Madame Fa ist phänomenal. Ihre Maskenbildner
haben sich selbst übertroffen. Eingehüllt in ein
schmuckdurchwobenes Kleid, sieht sie aus wie
Fleischwurst in Zellophan. Sie wird dermaßen
umworben, daß sie für mich nur ein flüchtiges Lä-
cheln übrig hat.
Von den läufigen Weibchen in Bann geschlagen,
benimmt Lino sich wie ein Schoßhündchen: er
wedelt enthusiastisch mit dem Schwanz. Er wirft
einen Blick auf das Dekolleté der einen und die
Hüften der anderen und schluckt dabei, bis ihm fast
der Adamsapfel steckenbleibt.
„Was für ein Gestüt! Was meinst du, habe ich ei-
ne Chance, eines von diesen Pferdchen zu satteln,
Kommy? Ich kneife mir meinen Schniedel schon
so lange zusammen, daß ich statt seiner bald eine
verschrumpelte Essiggurke haben werde.“
„Du mußt dich nur bedienen. Aber hüte dich
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