Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
du Penner denn hervorgekrochen?«
Oder er könnte sich gleich wieder davonmachen. Die Sache mit dem friedlichen Stadtleben hatte er sich ohnehin anders vorgestellt.
Die Wiesen, die Wälder. Keine kratzbürstigen Verrückten. Keine schreienden Idioten. Freiheit.
Andererseits war das Leben kein Zuckerschlecken gewesen. Er sollte vielleicht wenigstens so lange in der Stadt bleiben, bis er sich etwas mehr Gewicht angefuttert hatte?
Wieder rückte der große Kerl ein Stück näher.
»Ich werde dir das Fell abziehen und an die Kirchentür nageln!«
Es war ja nicht so, dass er kein Verständnis für den Angeber hatte. Wenn man Chef war, musste man das machen. Das hier war seine große Show. Schließlich schaute seine ganze Bande zu. Also würde er ihn noch ein bisschen schreien lassen, und in ein paar Minuten wäre die Sache ausgestanden. Dann hätte er seine Ruhe.
Was nur passte ihm daran nicht?
Als Commissaire Mazan zu der Mauer hochsah, wusste er die Antwort.
Die Sternenjägerin.
Es war ihretwegen. Ihretwegen wollte er nicht als Verlierer vom Platz gehen. Verdammt! Verdammt! Verdammt!
Aber so war es. Also konzentrierte er sich auf den bevorstehenden Kampf. Er begann, in den Bewegungen des großen, langhaarigen Kerls zu lesen, während er sich noch tiefer duckte und die Ohren flach anlegte, um dem Gegner Unterwerfungsbereitschaft vorzutäuschen. Dabei maß er dessen Kampfstärke.
Die war beachtlich. Aber Commissaire Mazan erkannte sehr schnell den Schwachpunkt: Ungeachtet seines wilden Aussehens hatte der rote Schreihals noch nie einen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten. Außerdem hatte er wahrscheinlich schon lange nicht mehr kämpfen müssen, weil es niemand wagte, ihn herauszufordern.
Commissaire Mazan atmete jetzt ganz flach, während der Gegner weiterhin wüste Beschimpfungen in die Welt krakeelte. Es musste schnell gehen. Für einen langen Kampf war er noch zu geschwächt.
Während Commissaire Mazan seine Unterwerfung vortäuschte, sammelte er alle Kraft in den Hinterläufen. Und wartete.
Wartete auf den richtigen Moment. Darauf, dass die letzte Tirade abgeschossen war. Darauf, dass der große Kerl sich in überlegener Pose hinsetzte und sich von dem Unterworfenen abwandte, um angeödet sein Fell zu putzen.
Jetzt.
Er sprang.
Danach ging tatsächlich alles sehr schnell. Aber beileibe nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte.
Der große Kerl war vollkommen überrascht von dem Angriff. Es stand in seinen Augen, eine Mischung aus Schrecken und … ja, Empörung. Darüber, dass jemand es wagte, derart gegen die Spielregeln zu verstoßen. Und ihn angriff! Den Chef!
Dann aber, kurz bevor Commissaire Mazan den Roten seitlich an der Kehle zu fassen bekam – eine Position, aus der heraus dem Gegner nur wenig Möglichkeiten blieben –, nahm er den Geruch wahr.
Und mit einem Schlag begriff Commissaire Mazan, warum der große Kerl zwei Tage gebraucht hatte, um ihn zu stellen. Warum er so viel Geschrei machte. Und warum die anderen Katzen sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen wollten.
In diesem winzigen Zeitraum, bevor er seine Zähne in den Hals des Gegners grub, katapultierte der stechende Geruch nach Chemikalien Bilder aus den Tiefen seiner Erinnerungen hervor, die Commissaire Mazan schon vergessen geglaubt hatte. Bilder von Käfigen, Menschen in weißen Kitteln und Stahltischen, auf denen andere Katzen festgeschnallt waren. Schlagartig begriff er, dass sein Gegner vor kurzem kastriert worden war. Dass er mehrere Tage lang in einem von Schmerzträumen getränkten Halbschlaf verbracht hatte. Und dass er, wenn er diesen Kampf verlor, auf der untersten Stufe der Katzenhierarchie landen würde.
Nein! Das ist nicht fair!
Sein Zögern war nur kurz, aber es reichte dem Roten, um zu reagieren. Mit seiner Kraft wehrte er den Angriff mühelos ab. Und dann warf er sich mit seinem ganzen Gewicht auf Commissaire Mazan. Der verlor das Gleichgewicht, prallte mit der rechten Hüfte auf einen etwas höher stehenden Stein. Dann landete der große Kerl auf ihm. Wie eine scharfe Klinge fuhr der Schmerz durch Mazans Körper, und er wusste sofort, dass sein rechtes Hinterbein unbrauchbar war. Dass er nun seinerseits den Hals darbot, war ein Reflex.
Der große Kerl ließ augenblicklich von ihm ab. Natürlich musste er jetzt noch ein wenig schreien und herumstolzieren. Aber das war der Abgesang. Die Show war vorbei.
Ich bin besiegt.
Die Erkenntnis schmerzte ihn fast noch schlimmer als sein Hinterlauf.
Nur
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