Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
sozusagen am hellichten Tag, wenn es
nicht Nacht wäre. Ganz schön ausgefuchst, kein Zweifel. Denn
ein Fremder, der vorbeikommt und einen Nachtwächter in
Uniform sieht, wie er ein paar Leute beim Beladen eines
Lasters beaufsichtigt, würde nicht im Traum drauf kommen,
daß es sich um einen Diebstahl handeln könnte. So hat mein
Kollege Augello die Geschichte rekonstruiert, und Cavaliere
Misuraca, der auf dem Nachhauseweg war, bestätigt es.«
Ingrassia, der immer mehr das Interesse zu verlieren
schien, je länger der Commissario redete, sprang, wie von der
Tarantel gestochen, auf.
»Misuraca?!«
»Ja, der, der beim Einwohnermeldeamt gearbeitet hat.«
»Aber der ist Faschist!«
»Ich wüßte nicht, was die politische Überzeugung des
Cavaliere mit unserer Geschichte hier zu tun hat.«
»Und ob sie was damit zu tun hat! Als ich noch in der
Politik war, war der nämlich mein Feind.«
»Sind Sie jetzt nicht mehr in der Politik?«
»Was soll man da noch? Wo sich ein paar Mailänder
Staatsanwälte in den Kopf gesetzt haben, die Politik, den
Handel und die Industrie kaputtzumachen!«
»Hören Sie, was der Cavaliere gesagt hat, ist nichts weiter
als eine simple Zeugenaussage, die die Vorgehensweise der
Diebe bestätigt.«
»Es ist mir scheißegal, was der Cavaliere bestätigt. Ich
sage nur, daß er ein armseliger alter Trottel und schon weit
über achtzig ist. Wenn er eine Katze sieht, ist er imstande zu
sagen, es sei ein Elefant. Was wollte er dort überhaupt mitten
in der Nacht?«
»Das weiß ich nicht, ich werde ihn fragen. Kommen wir
jetzt auf unser Thema zurück?«
»Ich bitte darum.«
»Nachdem sie mindestens zwei Stunden lang vor Ihrem
Supermarkt aufgeladen haben, fährt der Lastwagen los. Er legt
fünf oder sechs Kilometer zurück, kehrt um, parkt an der
Tankstelle und bleibt da stehen, bis ich komme. Und Ihrer
Meinung nach haben sie diesen Riesenaufwand getrieben, ein
halbes Dutzend Delikte begangen, mehrere Jahre Knast
riskiert, nur damit die Kerle selber oder Sie was zum Lachen
haben?«
»Commissario, wir können noch die ganze Nacht hier
sitzen, aber ich schwöre Ihnen, ich bin überzeugt, daß es nichts
weiter als ein dummer Streich war.«
Im Kühlschrank fand er pasta fredda con pomodoro, vasalicò
e passuluna – mit Basilikum und schwarzen Oliven –, deren
Duft einen Toten zum Leben hätte erwecken können, und als
zweiten Gang alici con cipolla e aceto.
Montalbano konnte sich stets auf Adelinas kulinarische,
obwohl schmackhaft einfache Phantasie verlassen. Seine
Haushälterin, die einmal am Tag kam, um ihm beizustehen,
war Mutter zweier hoffnungslos krimineller Söhne, von denen
einer noch immer im Gefängnis saß, was er Montalbano zu
verdanken hatte. Nichtsdestotrotz hatte Adelina den
Commissario auch heute nicht enttäuscht. Immer, wenn er den
Ofen oder den Kühlschrank öffnete, spürte er genau jenes
Herzklopfen wie damals, als er noch ein Kind war und in der
Morgenfrühe des zweiten November den Weidenkorb suchte,
in den die Toten nachts ihre Geschenke gelegt hatten. Dieses
Fest, am Tag nach Allerheiligen, gab es längst nicht mehr, es
war der Banalität der Geschenke unter dem Weihnachtsbaum
gewichen, so wie jetzt das Andenken der Toten erlosch. Die
einzigen, die die Toten nicht vergaßen, sondern deren
Andenken hartnäckig wachhielten, waren die Mafiosi,
allerdings waren die Geschenke, die sie zu ihrem Gedenken
schickten, keine Modelleisenbahnen oder Mandelplätzchen.
Aber egal, bei Adelinas Köstlichkeiten war die Überraschung
jedenfalls eine unerläßliche Würze. Montalbano nahm die
Teller mit dem Essen, eine Flasche Wein und Brot, schaltete
den Fernseher ein und setzte sich an den Tisch. Er liebte es,
allein zu essen, jeden Bissen schweigend zu genießen; zu den
vielen Dingen, die ihn mit Livia verbanden, gehörte auch, daß
sie akzeptierte, wenn er beim Essen kein Wort sagte. Er fand,
daß er in punkto Geschmack Maigret näher war als Pepe
Carvalho, dem Helden in Montalbáns Kriminalromanen, der
Gerichte in sich hineinschlang, von denen sogar ein
Haifischbauch in Flammen aufgehen würde.
Bei den Programmen der nationalen Sender verzog er
mißmutig das Gesicht, sogar die Regierungsmehrheit war
wegen eines Gesetzes gespalten, das die vorzeitige
Haftentlassung für Leute verbot, die sich das halbe Land unter
den Nagel gerissen hatten; die Staatsanwälte, die den Filz mit
der politischen Korruption aufgedeckt
Weitere Kostenlose Bücher