Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Augenmaß, daß sie ungefähr zwei Meter hoch
und anderthalb Meter breit sein mußte, es war demnach gar
nicht daran zu denken, sie von Hand wegzurücken. Und doch
mußte es möglich sein. Auf der rechten Seite war in der Mitte,
etwa zehn Zentimeter vom Rand entfernt, ein Loch, das völlig
natürlich wirkte.
Bei einer Holztür wäre dieses Loch genau auf der
richtigen Höhe für die Klinke, überlegte der Commissario.
Er zog einen Kugelschreiber aus seiner Jackentasche und
steckte ihn in das Loch. Der Stift ging ganz hinein, aber als
Montalbano ihn wieder einstecken wollte, merkte er, daß seine
Hand schmutzig war. Er sah sie an und roch daran.
»Das ist Fett«, sagte er zu Fazio, der als einziger bei ihm
geblieben war.
Die anderen Polizisten hatten sich in den Schatten gesetzt,
Gallo hatte ein Büschel Sauerampfer gefunden und bot seinen
Kollegen davon an.
»Ihr müßt den Stengel aussaugen, das schmeckt köstlich
und löscht den Durst.«
Für Montalbano gab es nur eine mögliche Lösung.
»Haben wir ein Stahlseil?«
»Klar, im Jeep.«
»Dann fahr ihn so nah her wie möglich.«
Als Fazio wegging, betrachtete der Commissario jetzt, wo
er den Geheimmechanismus zu kennen glaubte, mit dem man
die Steinplatte wegschieben konnte, die Landschaft mit ganz
anderen Augen. Wenn das tatsächlich die Stelle war, die Tano
u Grecu ihm kurz vor seinem Tod verraten hatte, dann mußte
es irgendwo einen Platz geben, von wo aus sie überwacht
werden konnte. Die Gegend schien öde und einsam, nichts ließ
darauf schließen, daß, wenn man um den Grat herumging,
wenige hundert Meter entfernt die vielbefahrene Provinciale
vorbeiführte. Nicht weit entfernt stand auf einer steinigen,
ausgedörrten Anhöhe ein winziges Häuschen, ein Würfel, der
aus einem einzigen Zimmer bestand. Montalbano ließ sich das
Fernglas bringen. Die geschlossene Holztür schien intakt zu
sein; neben der Tür befand sich in Mannshöhe ein kleines
Fenster ohne Laden, das mit zwei gekreuzten Eisenstangen
verbarrikadiert war. Das Häuschen sah unbewohnt aus, war
aber in der ganzen Gegend der einzig mögliche
Beobachtungsposten, die anderen Häuser waren zu weit weg.
Um das festzustellen, rief er Galluzzo zu sich.
»Schau dir mal das kleine Haus da an, mach die Tür
irgendwie auf, aber mach sie nicht kaputt, sei vorsichtig, kann
sein, daß wir es noch brauchen. Sieh nach, ob es Anzeichen
dafür gibt, daß vor kurzem jemand drin war, ob in den letzten
Tagen jemand da gewohnt hat. Aber laß alles, wie es ist, als
wärst du nie reingegangen.«
Der Jeep war inzwischen fast auf der Höhe des
Felssockels angelangt. Der Commissario ließ sich ein Ende
des Stahlseils reichen, fädelte es mühelos in das Loch und
schob es hinein. Es ging ganz leicht, das Seil glitt ungehindert
in den Felsen, als folge es einer gut eingefetteten Führung, und
tatsächlich kam das Seilende kurz darauf wie der Kopf einer
kleinen Schlange von hinten her wieder zum Vorschein.
»Nimm das Ende hier«, sagte Montalbano zu Fazio,
»befestige es am Jeep, fahr an und zieh, aber ganz vorsichtig.«
Langsam setzte sich der Wagen in Bewegung. Mit ihm
begann sich die Felsplatte rechts der Länge nach von der
Wand zu lösen, als drehe sie sich in unsichtbaren Angeln.
»Sesam, öffne dich«, murmelte Germanà verblüfft; er
mußte
an
das
Zauberwort
eines
Märchens
aus
Tausendundeiner Nacht denken, mit dem man mittels Hexerei
Türen öffnen konnte.
»Ich garantiere Ihnen, Signor Questore, daß diese Steinplatte
von einem wahren Meister in eine Tür verwandelt wurde,
wenn man bedenkt, daß die eisernen Angeln von außen
überhaupt nicht zu sehen waren. Und die Tür ließ sich genauso
leicht wieder schließen, wie sie sich vorher geöffnet hatte. Wir
gingen mit Taschenlampen hinein. Innen ist die Höhle sehr
sorgfältig und fachmännisch ausgestattet. Der Boden besteht
aus einem Dutzend aneinandergenagelter farlacche , die auf
der nackten Erde liegen.«
»Was sind denn farlacche?« fragte der Questore. »Mir
fällt das italienische Wort nicht ein. Das sind besonders dicke
Holzbretter. Der Boden wurde gebaut, damit die Waffenkisten
nicht direkt auf der feuchten Erde stehen. Die Wände sind mit
dünneren Brettern ausgekleidet. In der Höhle ist sozusagen
eine riesige Holzkiste ohne Deckel. Das muß ganz schön viel
Arbeit gewesen sein.«
»Und die Waffen?«
»Ein richtiges Arsenal. An die dreißig Maschinengewehre
und
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