Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
feinstem rötlichem Sand lag, der irgendwo
eingedrungen war und sich sogar an der Wand befand. Von
diesem Sand war in der anderen Grotte keine Spur, und
vielleicht hatte er auf irgendeine Weise verhindert, daß die
Leichen verwesten. Es waren ein Mann und eine Frau, deren
Alter unmöglich auf den ersten Blick festzustellen war. Daß
sie unterschiedlichen Geschlechts waren, schloß der
Commissario aus dem Körperbau, nicht etwa aus den
Geschlechtsmerkmalen, denn die waren verschwunden, in
einem natürlichen Prozeß ausgelöscht. Der Mann lag auf der
Seite, ein Arm quer über der Brust der Frau, die auf dem
Rücken lag. Sie umarmten sich, und sie würden für alle Zeiten
umarmt bleiben, denn das, was einmal das Fleisch seines
Armes gewesen war, war mit dem Fleisch ihrer Brust wie
verklebt, verschmolzen. Nein, man würde sie bald trennen,
dafür würde Dottor Pasquano sorgen. Durch die runzlige,
pergamentene Haut schimmerte das Weiß der Knochen
hindurch; sie waren ausgetrocknet, auf ihre pure Form
reduziert. Die beiden schienen zu lachen, die Lippen, die sich
zurückgezogen und um den Mund herum gestreckt hatten,
entblößten die Zähne. Neben dem Kopf des toten Mannes
stand die Schale mit kleinen runden Plättchen darin, neben der
Frau ein tönerner Krug, wie die Bauern ihn früher aufs Feld
mitnahmen, um das Wasser kühl zu halten. Zu Füßen des
Paares der Hund aus Terracotta. Er war etwa einen Meter lang
und grauweiß, die Farben unversehrt. So hatte ihn der
Künstler, von dessen Hand er stammte, gesehen: die
Vorderpfoten ausgestreckt, die Hinterbeine angezogen, das
Maul, aus dem die rosa Zunge heraushing, halboffen, die
Augen wachsam: So lag er zwar, jedoch in der Position eines
Bewachers. Der Teppich hatte ein paar Löcher, durch die man
den Sand auf dem Boden sah, aber die Löcher konnten auch
alt sein, und der Teppich war vielleicht schon in diesem
Zustand gewesen, bevor man ihn in die Grotte gelegt hatte.
»Alle raus!« befahl Montalbano, und, an Prestìa und den
Kameramann gewandt: »Macht vor allem die Lampen aus!«
Jäh war ihm bewußt geworden, welchen Schaden sie mit der
Wärme, die von den Filmlampen ausging, und überhaupt mit
ihrer Gegenwart anrichteten. Er blieb allein in der Grotte
zurück. Im Schein der Taschenlampe sah er sich den Inhalt der
Schale genau an: Die runden Dinger waren oxydierte
Kupfermünzen. Vorsichtig nahm er die Münze, die noch am
besten aussah, mit den Fingerspitzen auf; es war eine Münze
zu zwanzig Centesimi, geprägt 1941, auf der einen Seite war
König Vittorio Emanuele III., auf der anderen ein Frauenprofil
mit dem Liktorenbündel abgebildet. Als Montalbano die
Lampe auf den Kopf des Toten richtete, fiel ihm ein Loch in
dessen Schläfe auf. Davon verstand er genug, um zu wissen,
daß es von einer Schußwaffe stammte, er hatte sich also
entweder selbst getötet oder war ermordet worden. Aber wenn
er sich das Leben genommen hatte, wo war dann die Waffe?
Am Körper der Frau dagegen keine Spur eines gewaltsamen,
eines unnatürlichen Todes. Er dachte fieberhaft nach. Die
beiden waren nackt, und in der Grotte waren keine Kleider zu
sehen. Was hatte das zu bedeuten? Da ging, ohne vorher
schwächer zu werden oder zu flackern, plötzlich das Licht der
Taschenlampe aus, die Batterie war leer. Einen Augenblick
lang war Montalbano blind und ohne Orientierung. Um keinen
Schaden anzurichten, hockte er sich in den Sand und wartete,
bis sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, es
würde bestimmt nicht lange dauern, bis er den matten
Schimmer am Ausgang des Durchschlupfs würde sehen
können. Doch diese wenigen Sekunden vollkommener
Dunkelheit und Stille genügten ihm, einen ungewöhnlichen
Geruch wahrzunehmen, den er – da war er sich ganz sicher –
schon einmal gerochen hatte. Er versuchte sich zu erinnern,
wo das gewesen sein könnte, auch wenn es vielleicht nicht von
Bedeutung war. Von klein auf hatte er jedem Geruch, der ihm
auffiel, immer eine bestimmte Farbe zugeordnet, und der hier
war dunkelgrün. Bei dieser Assoziation erinnerte er sich, wo er
ihn zum erstenmal wahrgenommen hatte: Es war bei Kairo
gewesen, in der Cheops-Pyramide, in einem für Besucher
nicht zugänglichen Korridor – ein ägyptischer Freund hatte
ihm den Gefallen getan, ihn hindurchzuführen. Mit einemmal
kam Montalbano sich so grob vor, so nichtsnutzig, ohne jede
Ehrfurcht. An dem Vormittag, als er das Pärchen
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