Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Kind an
die Hand und führte ihn zum Sofa. Sie unterhielten sich eine
Weile, dann erhob sich der Commissario und sagte, er habe
noch zu tun und müsse gehen. Das stimmte zwar nicht, aber er
wollte nicht da sein, wenn der Anruf kam, der Questore und
seine Frau sollten die ferne Stimme ihres Sohnes allein und in
aller Ruhe genießen können, auch wenn die Worte voller
Angst und Leid waren. Als er das Haus verließ, klingelte das
Telefon.
»Sehen Sie, ich habe mein Wort gehalten. Hier haben Sie Ihr
Foto wieder.«
»Kommen Sie doch rein!«
Signora Burgio trat auf die Seite, um ihn vorbeizulassen.
»Wer ist da?« rief ihr Mann aus dem Eßzimmer.
»Der Commissario!«
»Dann bitte ihn doch rein!« brüllte der Preside, als hätte
seine Frau sich geweigert, Montalbano die Tür zu öffnen.
Sie waren beim Abendessen. »Möchten Sie mitessen?«
lud ihn die Signora ein. Ohne seine Antwort abzuwarten,
stellte sie einen Teller hin. Montalbano setzte sich, und die
Signora servierte ihm Fischbouillon, reduziert, wie es sich
gehörte, und mit Petersilie wiederbelebt.
»Haben Sie etwas damit anfangen können?« fragte
Signora Burgio, ohne auf den tadelnden Blick ihres Mannes zu
achten, der es unpassend fand, daß sie gleich mit der Tür ins
Haus fiel.
»Leider ja, Signora. Ich glaube, es handelt sich um eine
Fotomontage.«
» Dio mio! Dann wollte mir derjenige, der das Foto
geschickt hat, also etwas vormachen!«
»Ja, ich vermute, daß er genau das bezweckt hat – einen
Schlußpunkt unter Ihre Fragen nach Lisetta zu setzen.«
»Ich hatte doch recht, siehst du?« schrie die Signora ihren
Mann fast an und begann zu weinen.
»Was hast du denn?« fragte der Preside.
»Lisa ist tot, und jemand wollte mir weismachen, daß sie
lebt und glücklich verheiratet ist!«
»Es könnte doch auch sein, daß Lisetta selbst...«
»Was redest du da?!« rief sie und warf ihre Serviette auf
den Tisch.
Sie schwiegen betreten. Dann fuhr die Signora fort. »Sie
ist tot, nicht wahr, Commissario?«
»Ich fürchte, ja.«
Die Signora erhob sich, bedeckte ihr Gesicht mit den
Händen und verließ das Eßzimmer; sobald sie draußen war,
ließ sie sich gehen und schluchzte und klagte.
»Es tut mir leid«, sagte der Commissario.
»Sie wollte es ja unbedingt wissen«, antwortete der
Preside ohne Mitleid und folgte damit einer sehr eigenen
Logik ehelicher Auseinandersetzung.
»Gestatten Sie mir eine Frage. Sind Sie sicher, daß
zwischen Lillo und Lisetta nur jene Art der Zuneigung
bestand, von der Sie und Ihre Frau sprachen?«
»Wie meinen Sie das?«
Montalbano beschloß, ganz offen zu sprechen. »Können
Sie ausschließen, daß Lillo und Lisetta ein Liebespaar waren?«
Der Preside lachte laut auf und verwarf diese Annahme
mit einer Handbewegung.
»Wissen Sie, Lillo war unsterblich in ein Mädchen aus
Montelusa verliebt, das seit Juli 43 keine Nachricht mehr von
ihm hatte. Und der Tote vom Crasticeddru kann er aus dem
einfachen Grund nicht sein, weil man dem Bauern, der ihn
noch gesehen hat, wie er verletzt von den Soldaten auf einen
Lastwagen geladen und irgendwohin gefahren wurde,
unbedingt Glauben schenken kann.«
»Jedenfalls«,
sagte
Montalbano,
»bleibt
eines
unumstößlich, nämlich daß Lisetta nicht mit einem
amerikanischen Soldaten durchgebrannt ist. Folglich hat
Lisettas Vater Ihre Frau angelogen. Wer war Lisettas Vater?«
»Wenn ich mich recht erinnere, hieß er Stefano.«
»Lebt er noch?«
»Nein, er ist schon seit mindestens fünf Jahren tot.«
»Was hat er beruflich gemacht?«
»Ich glaube, er war Holzhändler. Aber in unserer Familie
sprach man nicht von Stefano Moscato.«
»Warum nicht?«
»Weil auch er kein anständiger Mensch war. Er machte
mit den Rizzitanos, seinen Verwandten, gemeinsame Sache,
verstehen Sie? Er hatte Dreck am Stecken, ich weiß nicht,
welcher Art. Damals sprach man in kultivierten, achtbaren
Familien nicht über solche Leute. Man konnte genausogut,
entschuldigen Sie bitte, über einen Haufen Kacke reden.«
Signora Burgio kam zurück, mit geröteten Augen und
einem alten Brief in der Hand.
»Das ist der letzte Brief, den ich von Lisetta bekommen
habe, während wir in Acquapendente waren, wo ich mit
meiner Familie hingezogen war.«
Serradifalco, 10. Juni 1943
Meine liebe Angelina, wie geht's Dir? Wie geht es Deiner
Familie? Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich Dich
beneide, Dein Leben in einem Dorf im Norden kann man
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