Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Meinung nach
reagiert?«
Die Signora brauchte gar nicht nachzudenken. »Er hätte
alles getan, worum Lisetta ihn bat.«
»Dann versuchen wir doch mal, uns vorzustellen, was in
jenen Tagen im Juli geschehen ist. Lisetta flieht aus
Serradifalco, schlägt sich nach Vigàta durch, trifft sich mit
ihrem Freund Mario Cunich, der desertiert oder vielmehr sich
von seinem Schiff entfernt. Jetzt wissen die beiden nicht, wo
sie sich verstecken sollen; zu Lisetta nach Hause zu gehen ist,
als gingen sie in die Höhle des Löwen, denn dort würde sie ihr
Vater als allererstes suchen. Sie weiß, daß Lillo Rizzitano ihr
nichts abschlagen kann, und bittet ihn um Hilfe. Er nimmt das
Paar in dem Haus am Fuß des Crasto auf, in dem er allein lebt,
weil seine ganze Familie geflohen ist. Wer die beiden
umbringt und warum, wissen wir nicht, und vielleicht werden
wir es auch niemals wissen. Aber daß Lillo der Urheber der
Bestattung in der Höhle ist, daran kann es keinen Zweifel
geben, weil er sich Schritt für Schritt sowohl an der
christlichen wie an der Koranversion der Legende orientiert. In
beiden Fällen wachen die Schlafenden wieder auf. Was will er
mit dieser Inszenierung zu verstehen geben, was will er uns
damit sagen? Will er uns sagen, daß die beiden jungen
Menschen schlafen und eines Tages aufwachen oder geweckt
werden? Vielleicht erhofft er sich genau das, daß es in Zukunft
jemanden gibt, der sie findet, der sie aufweckt. Zufällig habe
ich sie gefunden, habe ich sie aufgeweckt. Aber glauben Sie
mir, ich wünschte wirklich, ich hätte diese Höhle nie
gesehen.«
Er war aufrichtig, und die beiden alten Leute verstanden
ihn.
»Ich könnte es dabei bewenden lassen. Meine persönliche
Neugierde ist befriedigt. Manche Antworten fehlen mir zwar
noch, aber die, die ich habe, würden mir reichen. Ich könnte es
also dabei bewenden lassen.«
»Ihnen genügen die Antworten vielleicht«, sagte Signora
Angelina, »aber ich will Lisettas Mörder ins Gesicht sehen.«
»Wenn, dann siehst du ihn höchstens auf einem Foto«,
spottete der Preside, »weil es inzwischen neunundneunzig zu
eins steht, daß der Mörder wegen Erreichen der Altersgrenze
tot und begraben ist.«
»Ich überlasse es Ihnen«, sagte Montalbano. »Was soll
ich tun? Weitermachen? Es sein lassen? Entscheiden Sie, diese
Morde interessieren niemanden mehr, Sie beide sind vielleicht
die einzige Verbindung, die die Toten noch mit dieser Welt
haben.«
»Ich bin dafür, daß Sie weitermachen«, sagte Signora
Burgio sehr gefaßt.
»Ich auch«, stimmte ihr der Preside nach einer Pause zu.
Auf der Höhe von Marinella bog Montalbano nicht ab, um
heimzufahren, sondern ließ das Auto praktisch von selbst die
Küstenstraße weiterfahren. Es herrschte kaum Verkehr, und
nach wenigen Minuten war er am Fuß des Crasto
angekommen. Er stieg aus und ging den Weg zum
Crasticeddru hinauf. In der Nähe der Waffengrotte setzte er
sich ins Gras und zündete sich eine Zigarette an. Während er
zusah, wie die Sonne unterging, arbeitete es in seinem Kopf:
Er hatte das dunkle Gefühl, daß Lillo noch lebte, aber wie
konnte er ihn ausfindig machen? Es begann schon zu
dämmern, als er sich auf den Weg zu seinem Wagen machte;
da fiel sein Blick auf das große Loch, das sich in dem Berg
auftat, den Eingang des unbenutzten Tunnels, der schon ewig
mit Brettern und Latten verrammelt war. Direkt neben dem
Eingang standen ein Blechverschlag und zwei Pfosten,
zwischen denen ein Schild hing. Montalbanos Beine rannten
los, noch bevor sein Hirn den Befehl dazu gegeben hatte.
Atemlos kam er an, die Seite schmerzte ihn vom Laufen. Auf
dem Schild stand: IMPRESA COSTRUZIONI GAETANO
NICOLOSI & FIGLIO – PALERMO – VIA LAMARMORA,
33 – BAU EINES TUNNELS FÜR DEN AUTOVERKEHR –
BAULEITUNG: ING. COSIMO ZIRRETTA – MITARBEIT:
SALVATORE PERRICONE. Es folgten weitere Angaben, die
Montalbano nicht interessierten.
Er rannte zum Auto und fuhr auf dem schnellsten Weg
nach Vigàta.
Dreiundzwanzig
In der Baufirma Gaetano Nicolosi &. Figlio in Palermo, deren
Nummer er sich von der Auskunft hatte geben lassen, ging
niemand ans Telefon. Es war zu spät, in den Büros war
bestimmt kein Mensch mehr. Montalbano versuchte es immer
wieder und gab die Hoffnung langsam auf. Er fluchte vor sich
hin und ließ sich dann die Nummer des Ingegnere Cosimo
Zirretta geben, von dem er annahm, daß er ebenfalls aus
Palermo war. Er hatte recht. »Hier ist
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